Umwege zum Glück
diesen Menschen zu helfen, ihnen das Leben ein bißchen zu erleichtern. Aber ich kenne ja keine, ich weiß nicht, wo solche Menschen zu finden sind.“
„Aber dann gib doch nicht gleich auf!“ rief Madeleine. „Wenn es wirklich dein ehrlicher Wunsch ist, einsamen Alten zu helfen, dann kann dir entweder der Gemeindegeistliche oder das Sozialhilfeamt Auskünfte geben! Reni, hier spreche ich von Interessen und Steckenpferden, und du sitzest da still und bescheiden und bist dabei, dir eine so schöne Aufgabe zu suchen! Laß dich doch nicht von einer solchen lächerlichen Kleinigkeit hindern, daß du nicht weißt, wo du jemanden finden sollst! Du würdest ganz leicht sehr viele finden. Und wenn du ein paar Freundinnen hast, die mitmachen würden, dann könntet ihr ein wahrer Segen für eine ganze Menge alter einsamer Menschen werden! Wenn das kein Interesse ist! Und viel nützlicher als mein Carlos-Hobby!“
„Ich werde Jessica und Anke mobilisieren“ sagte ich. „Und vielleicht die Donnerstagstanten um Rat fragen. Es wäre zu schön, wenn wir wirklich etwas für ein paar alte Menschen tun könnten.“
Madeleine lächelte ihr gutes, warmes Lächeln.
„Siehst du, Reni, alles liegt bei dir parat. Du brauchst nur einen ganz kleinen Schubs. Von einer lebendigen Schwester oder einer toten Hand. Aber, Menschenskind, was hast du da gemacht? Du hast ja ganz vergessen, ein Knopfloch zu machen. Hier hilft nichts, du mußt sechs Reihen auftrennen!“
Das Gespräch mit Madeleine war wie ein seelisches Bad für mich gewesen. Ich fühlte mich so froh, etwas in meinem Inneren war aufgeräumt, war klar und übersichtlich geworden. Ich hatte Lust, etwas anzufangen, meine Kräfte zu gebrauchen, etwas zu leisten! Ich freute mich darauf, weiterzustudieren, und ich freute mich sehr darauf, Jessica und Anke in meinen neuen Plan einzuweihen.
Frohes Fest
Unser Heiliger Abend wurde genauso schön wie immer, das heißt eigentlich noch schöner. Nichts geht über das Nachhausekommen, wenn man eine Zeit weg gewesen ist. Und dann zu Weihnachten!
Tannenduft, Kerzen, herrliches Essen, reizende Geschenke! Bücher, Schallplatten, eine Garnitur sehr feine Unterwäsche, eine schöne Bluse – mit all diesen Geschenken wurde ich verwöhnt; alle waren so unsagbar lieb zu mir!
Als die Bescherung zu Ende ging, stand Papa auf und kam zu mir.
„So, mein Kind, und jetzt kriegst du dein Geschenk von mir. Nur um eins bitte ich dich sehr: Hüte es gut, sei vorsichtig, daß du es nie verlierst!“
Ich machte ein kleines, altmodisches, samtbezogenes Etui auf. Da lag auf einem winzigen dunkelroten Kissen ein Paar Ohrringe, zwei schneeweiße Perlen, von einer wunderbaren, feinen Goldarbeit umkränzt.
„O Papa, wie sind sie schön – aber die – habe ich doch schon gesehen – wo nur?“
„Da“, sagte Papa und führte mich zu der Wand mit den alten Familienfotos.
Ja richtig, da war es! Meine Urgroßmutter, Papas Großmutter, trug sie.
„Sie bekam sie als Verlobungsgeschenk von meinem Großvater, es war im Jahre 1885! Dann erbte meine Mutter sie, ich kann mich gut daran erinnern, daß sie sie nur zu ganz großen Feierlichkeiten trug. Dann sollte meine älteste Schwester sie haben, aber da sie keine Kinder bekam, gab sie sie mir. Ich sollte sie für meinen kleinen Wildfang, wie sie sagte, aufheben. Ich sollte warten, bis besagter Wildfang vernünftig genug geworden sei, darauf aufzupassen und sie nicht zu verlieren. Vor allem müßte er verstehen, daß die Ohrringe eine Familienkostbarkeit sind!“
„O Paps, ich freue mich ganz schrecklich! Du ahnst nicht, wie gut ich sie hüten werde. Was ist das für ein schönes Stück, ich meine, ein schönes Paar!“
„Meine Mutter ließ Schrauben daran machen, weil sie keine Löcher in den Ohrläppchen haben wollte“, erklärte mir Papa.
„Ich weiß nicht, ob du…“
„Ach nein, Papa, so olle Löcher in den Ohren möchte ich nicht haben. Die Schrauben sehen doch schön fest aus, warte mal, ich probiere gleich…“
Die Schrauben waren ausgezeichnet, und die Ohrringe – ja, sie standen mir einfach!
Ich fiel Papa um den Hals. Natürlich hatte ich etwas Schmuck, wenn auch nicht so besonders feinen – ja, doch, ein paar Sachen von meiner Mutter hatte ich schon, aber die lagen nun vorläufig im Banksafe. Diese Ohrringe waren nicht nur das Wertvollste, sondern unbedingt auch das Schönste von allem, was ich besaß! O, wie sorgfältig würde ich sie hüten! In Kiel würde ich ein Bankfach
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