Umwege zum Glück
pflegen, sich ihm zu widmen.
Nur ich saß da und fühlte mich dumm und oberflächlich und geistig hundefaul.
Wartet bloß, dachte ich. Wartet bloß, liebe Eltern, liebe Freunde, liebe Schwester! Die verwöhnte, sommersprossige Reni hat endlich denken gelernt. Wartet bloß! Aus der frechen rothaarigen Göre des Direktors Thams wird vielleicht doch mit der Zeit etwas werden!
Alles auf einmal
„Die Idee ist tatsächlich gut!“ sagte Jessica.
„Prima!“ bestätigte Anke mit vollem Munde.
Ich konnte überhaupt nichts sagen, ich hatte grade von meiner Stollenscheibe ein enormes Stück abgebissen und mußte das zuerst runterkriegen.
Wir saßen in meiner Bude bei Kaffee und einer reichen Auswahl von Muttis Plätzchen. Theodor hatte auf der Rückfahrt von Hirschbüttel erheblich mehr als bei der Hinfahrt zu verfrachten gehabt: Kleingebäck, Stollen, all meine Weihnachtsgeschenke, Käse und Konservendosen, ein warmes Plaid und ein elektrisches Heizkissen. „Für die Füße, wenn du abends lernen mußt“, war Papas Kommentar, als er das gute Stück brachte – auf meinen Bericht hin, daß es in meiner Bude fußkalt war.
Ich hatte Anke und Jessica zum Kaffee eingeladen und ihnen meinen Plan vorgelegt. Ob wir nun jede eine alte, einsame Frau „adoptierten“ und ihr mindestens einmal in der Woche Besorgungen machten und ein Stündchen oder zwei bei ihr verbrachten? Damit sie etwas hatte, worauf sie sich freuen konnte? Damit sie wußte, daß an einem bestimmten Wochentag ein Mensch käme, mit dem sie plaudern konnte? Damit sie fragen und erzählen konnte, alles loswerden, was sie sonst allein mit sich herumtrug – und einen Kontakt mit der Jugend kriegen?
„Das machen wir!“ sagte Anke. „Unbedingt. Natürlich haben wir eine Menge um die Ohren und wenig freie Zeit, aber wißt ihr, was Mutti immer sagt? Je mehr ich zu tun habe, desto besser reicht die Zeit.’“
„Allen Respekt vor deiner Mutter!“ Jessica schmunzelte. „Aber Logik ist anscheinend nicht ihre Stärke!“
„Und ob es das ist!“ widersprach Anke. „Es ist doch sonnenklar, je mehr man zu tun hat, desto genauer muß man seine Zeit einteilen, und das richtige Einteilen ist die halbe Arbeit! Ihr werdet sehen!“
„Übrigens“, meinte Jessica, „es gibt doch meines Wissens schon solche Jugendorganisationen, die etwas für alte Menschen tun.“
„Um so besser!“ sagte ich und goß mehr Kaffee ein. „Dann schließen wir uns der Organisation an. Und wir werden doch bestimmt noch ein paar Kommilitoninnen mobilisieren können. Du auch, Anke?“
„Ich werde es versuchen. Nein, vielen Dank, Reni, ich kann nicht mehr, ich bin wie genudelt!“
Jessica konnte auch nicht mehr, also legte ich die restlichen Plätzchen zurück in die Dosen und holte meine Strickarbeit.
„Um alles in der Welt!“ rief Jessica. „Seit wann strickst du?“
„Seit zwei Wochen“, sagte ich. „Abgesehen von den seltsamen Gebilden, die ich notgedrungen in der Schule stricken mußte.“
Anke guckte sich die Arbeit an.
„Reni! Nun sag mal – das wird doch eine Babyjacke, sogar nach Muttis Rezept, Modell Nahtlos, von oben nach unten, nicht wahr? Wer in aller Welt – du erwartest doch kein Baby?“
Ich mußte lachen.
„Es kommt doch wohl vor, daß man auch für die Babys anderer Frauen strickt?“
„Oh, ich hab’s kapiert! Deine Schwester! Du kriegst einen Neffen oder eine Nichte.“
„Falsch!“
„Ach, natürlich, deine Freundin Christel, die reizende Mulattin! Sie kriegt Nummer zwei!“
„Nicht daß ich wüßte!“
„Ich gebe es auf“, sagte Jessica. „Für mich brauchst du dich nicht anzustrengen, ich kriege kein Kind. Nun sag es doch!“
„Gut. Ich stricke für mein Brüderchen.“
„Dein was?“
„Oder Schwesterchen. Hoffentlich wird es ein Junge, damit Vati…“
„Reni, ist das wahr? Du, das ist doch großartig! Freust du dich nicht schrecklich?“
„Und ob ich das tu! Ich bin nur böse auf meine Eltern, weil sie es so lange verschwiegen haben! Das Baby kommt schon im März, ich muß also fleißig arbeiten!“
„Im März, das paßt doch wunderbar, dann haben wir Semesterferien, und du kannst für deinen Vater kochen, während deine Mutter…“
„Armer Papa“, sagte ich. „Stricken geht zur Not, aber Kochen!“
„Und wenn du nun ein Brüderchen kriegst, dann bist du sozusagen entthront?“ fragte Jessica.
„Zum Teil ja!“
„Dann kannst du ja sehen, welche deiner Verehrer es ernst meinen!“ sagte Jessica.
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