Umwege zum Glück
einmal so was. Oder vielleicht wird ein großes, glühendes Interesse aus meinem Plan mit der Hilfe für alte, einsame Menschen. Oder vielleicht erlebe ich einmal etwas, was wie ein Blitz bei mir einschlägt und etwas in mir erweckt –
Theodor keuchte. Der Arme, ich hatte heut viel von ihm verlangt. Ich hielt an einer Münztankstelle und tränkte meinen getreuen Theodor für fünf Mark. Denn jetzt hatte ich immer mindestens ein Fünfmarkstück bei mir!
Es war sehr spät, als ich nach Hause kam. Das Tor zum Hof war zu, ich mußte mich mit dem schweren Schloß abquälen, dann wieder zurück und abschließen.
Endlich stand ich in meinem Zimmer. Ich war redlich müde.
Auf dem Tisch lag ein Brief. Nanu? Ein Brief ohne Briefmarke, also nicht durch die Post gekommen. Ich machte auf und traute meinen Augen nicht.
Das Zimmer wurde mir gekündigt zum 15. Februar. Ohne Kommentar, ohne jegliche Erklärung. Ganz einfach gekündigt.
Na, das war ja eine schöne Bescherung!
Ich hängte den Mantel in den Schrank, nahm die Pelzmütze ab, und dabei streifte meine Hand den rechten Ohrring. Ach du liebe Zeit, ich hatte vergessen, die Ohrringe abzunehmen.
Mit beiden Händen griff ich an meine Ohrläppchen, um meinen schönen Schmuck vorsichtig abzuschrauben.
Da stockte mir der Atem.
Meine linke Hand bekam ein nacktes Ohrläppchen zu fassen.
Ich hatte einen von Urgroßmutters Ohrringen verloren.
Der einzige Ausweg
Wenn ich an die Stunden und Tage zurückdenke, die darauf folgten, kriege ich noch nachträglich eine Gänsehaut.
Ich war nie in meinem Leben so verzweifelt gewesen. Wenn mir Theodor geklaut worden wäre, wenn ich meine sämtlichen medizinischen Lehrbücher verloren hätte, wenn mein Armband in die Kieler Förde gefallen wäre – nichts davon hätte mich halb so unglücklich machen können!
Wenn ich das alles schildern sollte, was ich unternahm, um den Ohrring wiederzufinden – das würde Bände füllen!
Erstens – mitten in der Nacht – mit Taschenlampe raus zum Tor, Theodor durchwühlt, Handschuhfach, Türtasche, unter den Fußmatten nachgesehen, unter den Sitzen. Nichts. Dann den Hausflur, die Küche – ich mußte ja durch Frau Hansens Küche, um in mein Zimmer zu kommen. Wieder raus, zu Fuß zur Tankstelle, es war nicht weit. Hier hatte ich gestanden – von dieser Säule hatte ich gezapft – da glitzerte etwas – von wegen! Ein Stück Zellophan von einer Zigarettenpackung.
Hatte ich die Ohrringe noch, als wir losfuhren? Hatten die drei anderen wohl zufällig gesehen, ob ich sie im Wagen noch hatte?
Für heut nacht mußte ich das Suchen aufgeben.
Ich heulte dicke Tränen vor Verzweiflung. Wie sollte ich es wagen, Papa wieder unter die Augen zu treten? Papa mit seinem ausgeprägten Familiengefühl, Papa, der alle geerbten Sachen so liebevoll hütete! Ich wußte ganz genau, wieviel es bedeutete, daß er mir diesen wunderbaren Schmuck geschenkt hatte. Und dann hatte ich die Hälfte davon verloren – als ich ihn zum ersten Mal trug.
Um sieben Uhr am nächsten Morgen war ich bei Jessica und fand sie splitternackt vor dem Waschbecken vor.
„Deine Ohrringe? Menschenskind, hast du etwa – warte mal, doch, Reni, als wir uns verabschiedeten, hattest du sie, darauf kann ich schwören! Ich guckte sie nämlich noch einmal an, grade als ich aus dem Wagen stieg. Ich bin hundertprozentig sicher!“
Dann ließ ich die erste Vorlesung sausen und fuhr die ganze Strecke von gestern abend. In Sentas Straße war ich ja ausgestiegen. Jetzt war es einigermaßen hell, jetzt konnte ich suchen.
Als ich in die kleine Straße einbog, mußte ich an einem eigenartigen Gefährt vorbeifahren. Mir wurde es heiß und kalt: Es war ein kleiner Straßenreinigungswagen, der sowohl Fahrbahn als auch Bürgersteige sauberfegt.
Da, wo ich gestern abend gegangen war, lag nichts, aber auch gar nichts auf der Straße. Sie war sauber wie ein Parkettboden.
Noch einmal Theodor durchwühlen. Nichts.
Dann Anzeige in der Zeitung, mit Versprechen: „Hohe Belohnung…“ Dann zum Fundbüro bei der Polizei.
Nichts. Gar nichts. Auf die Anzeige kam keine Antwort.
Jessica hatte mir versprochen, die Geschichte für sich zu behalten. Ich wollte nicht bemitleidet werden, und Vorwürfe hören mochte ich erst recht nicht.
Ich war so außer mir, daß ich kaum an die Zimmerkündigung dachte. Es war ja auch keine Katastrophe. Am 15. Februar war das Wintersemester bald zu Ende, ich würde wohl für die kurze Zeit einen Unterschlupf finden –
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