Umwege zum Glück
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„Ich meinte es nicht so“, sagte Doktor Ingwart. „Mein allerhand’ bezog sich nicht auf Herrn Jährners Unehrlichkeit, sondern auf Ihre Ehrlichkeit und Ihre spontane Handlungsweise!“
„Ja, aber ich mußte doch blitzschnell handeln, ich zitterte ja davor, daß Sie vielleicht schon unterwegs mit Theodor wären.“
„Theodor?“
„Ja, mein – ich meine, Ihr Wagen – ich habe ihn immer Theodor genannt.“ Plötzlich mußte ich schlucken, und ich fürchte, daß meine Stimme zitterte.
„Sie haben den Wagen nicht gern verkauft?“ kam die milde Stimme von Frau Ingwart.
„Nein, sehr ungern, aber ich mußte. Ich brauche das Geld.“
„Ich verstehe“, sagte der junge Arzt. „Gut, wollen wir das Öl gleich wechseln?“
Wir gingen raus, er machte die Außenlampe an der Hausecke an, und so konnten wir ganz gut sehen.
„Na, das ist vielleicht ein schöner Sirup!“ sagte er, als das dicke Öl langsam in die alte Konservendose lief, die er darunterhielt. „Eins begreife ich bloß nicht, daß Herr Jährner diesen Trick angewendet hat, da es doch gar nicht um sein Geld ging.“
„O doch. Es ging um seine Prozente. Ich habe ihm zweihundert Mark bezahlt.“
„Na, der ist mir vielleicht einer!“
„Das kann man wohl sagen. Ich habe ihn rausgeschmissen und hoffe innig, daß ich ihn nie mehr zu Gesicht bekomme!“
„Und Ihre zweihundert Mark?“
„Sind futsch. Das habe ich davon, daß ich einem Menschen Vertrauen schenkte, ohne ihn richtig zu kennen. Eine teure, aber sehr nützliche Lehre. So, das wär’s, jetzt können wir den Motor starten.“
Er sprang wunderbar an und lief schön regelmäßig, wenn auch nicht grade leise.
„Nun, etwas anders ist er ja“, sagte Doktor Ingwart. „Wollen wir ein Stückchen fahren?“
Er setzte sich ans Steuer, und zum ersten Mal saß ich auf dem Beifahrersitz meines Theodor. Es war ein seltsames Gefühl. Wieder kam mir ein Kloß in den Hals. Es war verdammt schwer, sich von Theodor zu trennen.
Doktor Ingwart legte den Gang ein und fuhr, ruhig und sicher und sehr vorsichtig.
„Ich muß mich so langsam daran gewöhnen“, erklärte er. „Ich habe vor einem Jahr den Führerschein gemacht, und seitdem bin ich nur hin und wieder gefahren.“
„Gute Straßen haben Sie hier gerade nicht!“ meinte ich, als Theodor einen Hopser machte.
„Nein, da haben Sie recht! Überhaupt, wir wohnen ja hier denkbar weit weg von der sogenannten Zivilisation, aber friedlich ist es. Mein Vater hat das Haus gekauft, als er eine große wissenschaftliche Arbeit begann.“
„Lebt Ihr Vater nicht mehr?“
„Nein. Er starb vor sechs Jahren. Ohne seine große Arbeit vollendet zu haben, leider. Aber das, was er geschrieben hat, war mir sehr nützlich.“
„Ihr Vater war auch Arzt?“
„Ja. Er war lange Zeit Missionsarzt in Afrika.“
„Deswegen!“ rief ich.
„Wieso deswegen?“
„Ach, Herr Jährner erzählte doch, daß Sie am Tropeninstitut arbeiten.“
„Stimmt. Deswegen brauche ich einen Wagen. Ich fahre ja mindestens einmal in der Woche hierher und schaue nach meiner Mutter und helfe ihr. Es ist mir gar nicht recht, daß sie hier allein wohnt. Nun ja, wir haben eine nette und hilfsbereite Nachbarin, aber trotzdem…“ Plötzlich wechselte er das Thema: „Sind Sie aus Kiel?“
„Nein, ich studiere in Kiel. Ich wohne in einem kleinen Nest, in Hirschbüttel.“
„Kenne ich gut – als Ursprungsort der Hibügeräte.“
„Wirklich? Das werde ich meinem Vater sagen. Ich bin nämlich sozusagen die Tochter der Hibüwerke!“
„Was? Dann begreife ich allerdings nicht…“ Er verstummte.
„Warum ich meinen Vater nicht um Geld bitte, statt meinen Wagen zu verkaufen? Weil ich – weil ich…“
„Um Gottes willen, das brauchen Sie mir doch nicht zu erzählen. Sagen Sie mir lieber, was Sie studieren.“
„Medizin.“
„Was? Dann sind wir ja Kollegen!“
„Das dürfte ein bißchen übertrieben sein. Ich bin erst im ersten Semester.“
„Immerhin! Wollen wir jetzt zurückfahren? Nehmen Sie doch das Steuer, Sie kennen den – wie hieß er nun gleich – den Theodor, Sie können schneller fahren. Ich möchte gern den Motor hören, wenn Sie im vierten Gang fahren.“
Wir wechselten die Plätze, ich gab Gas und ließ Theodor zeigen, was er konnte. Es war mir, als sänge der Motor mir ein Abschiedslied, und ich mußte schlucken und schlucken.
Dann waren wir wieder beim Hasensteg 21 und stiegen aus.
„Ja“, sagte Doktor Ingwart, „ich möchte den Wagen
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