Umzug ins Glück
Da hatte
sich jemand in knalligen, pastösen Farben regelrecht ausgetobt, da zappelten kleine an Keith Harings Figuren erinnernde Männchen
zwischen unsymmetrischen Gebäuden und flammend gezackten Formen. Ein sehr emotionales Bild, und riesig noch dazu. Man konnte
kaum den Blick abwenden.
»Das kannst du jeden Tag aushalten?«, fragte ich ihn.
»Das muss ich«, sagte er. »Das ist ein Teil von mir.«
Etwas irritiert sah ich zu ihm hinüber. Er sah mich nicht an, sondern schaute konzentriert auf das Gemälde.
»Heißt das, du hast das selbst gemalt?«
»Ja«, sagte er knapp. Und ich begriff blitzartig, dass er nicht jeden mit in dieses Zimmer nahm. Es war ein Privileg.
»Und das im Wohnzimmer auch?«
»Nein«, sagte er und wandte sich mir mit einem verlegenen Lächeln zu. »Das könnte ich nicht.«
Nun gab es bestimmt Leute, die hätten jetzt argumentiert, dass so ungefähr jeder ein einfaches rotes Bild mit einem schwarzen
Strich malen könnte. Aber ich verstand, was er sagen wollte. Wenn er malte, dann kam seine unruhige Seite hervor. Es gab auch
Anteile in ihm, die so chaotisch waren wie das Bild über seinem Bett.
»Und hier ist das Bad«, setzte er die Führung fort.
Das Bad verwunderte mich nicht. Ich hatte etwas Klares, Puristisches erwartet, und genau das war es auch: dunkler Schieferboden,
weiße Fliesen, Designerarmaturen und eine riesige Dusche. »Keine Wanne?«
»Ich bin nicht Kleopatra«, sagte er. »Sollen wir jetzt essen?«
Wir gingen in die Küche zurück und deckten gemeinsam den Tisch. Er hatte ein schlichtes graues Geschirr, aber ein altmodisches
Besteck mit Monogramm. Augsburger Faden, soweit ich wusste. Ich hielt eins der Messer hoch. »Du überraschst mich immer wieder.«
»Dafür lebe ich«, grinste er. »Geerbt von meiner Großmutter mütterlicherseits. Meine Mutter wollte es nicht.«
Auch die Servietten schienen von der Oma zu stammen, das Monogramm auf dem schweren Leinen war das gleiche. Ich hätte nie
gedacht, dass diese Dinge zusammenpassen könnten, aber auf seinem schwarzen Esstisch ging das wunderbar. Ich setzte mich auf
die mir zugewiesene Seite und harrte der Dinge, die da kommen sollten.
Was im Backofen so geduftet hatte, waren zwei kleine Quiches mit Tomaten, Oliven und Pilzen. Ich vermutete, dass er eine Käse-Ei-Masse
darüber verteilt hatte, die perfekt gestockt war.
»Das würde sogar Ines begeistern«, sagte ich. »Dass man so was Leckeres nur mit vegetarischen Produkten zubereiten kann.«
»Aber jetzt ist Schluss mit vegetarisch«, sagte er. »Jetzt gibt es ein echtes Männersteak. Magst du es lieber blutig oder
gut durchgebraten?«
»Medium, bitte«, bestellte ich und war gespannt. Es sah schon sehr kompetent aus, wie er da hantierte, auch wenn ich wusste,
wie viel Sahne in der Sauce war und dass er Butter über den Rosenkohl gab.
Das Steak war hervorragend. Die Sauce natürlich auch, was nicht nur an der Sahne lag. Der Rosenkohl war etwas zu weich, was
aber den Geschmack nicht beeinträchtigte.
»Ich bin nicht so ein Nachtisch-Spezialist«, sagte er, als er die Teller abräumte. »Aber ich habe etwas Eis da. Ist das in
Ordnung?«
Mittlerweile war für mich alles in Ordnung. So ein tolles Essen, so ein schöner Rotwein, was wollte man noch mehr? Sogar unsere
Gesprächsthemen waren ausgewogen und stressfrei. Dieser Nick war nicht der Provokateur, den ich kannte.
Dieser Nick stellte ein graues Schälchen mit Eis vor mich, in dem sich vanilleweiße und erdbeerrosa Streifen abwechselten.
Bevor ich den Löffel in diese Komposition senkte, betrachtete ich sie noch einmal ausgiebig.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte er mich beunruhigt.
»Doch, doch«, versicherte ich. »Ich dachte nur gerade über die Farben nach.« Und dann beichtete ich ihm meine Gedanken zu
einer Grundentrümpelung meines Hauses und zur Gestaltung der neuen Wohnung, die schwerpunktmäßig in diesen Farben eingerichtet
war. »Das ist vermutlich für dich schwer zu verdauen«, schloss ich meine Ausführungen.
»Wieso?«, fragte er überrascht. »Klingt doch wie ein guter Plan.«
»Na ja«, sagte ich und schwenkte mit meinem Löffel einmal in Richtung seiner Küche, »wenn man sieht, was du für einen Stil
hast … Ich dachte schon, du läufst blau an, wenn ich dir erzähle, dass ich mich von Blümchentassen inspirieren lasse.«
»Im Gegenteil«, sagte er und fixierte mich sehr aufmerksam. »Ich finde Inspiration wichtig, egal woher sie kommt. Und
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