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Unbefugtes Betreten

Unbefugtes Betreten

Titel: Unbefugtes Betreten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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hatte ein Paar bauschige Handschuhe, passend zu einer bauschigen Jacke? Ach, und Spülhandschuhe natürlich: die hatten alle Frauen. Und immer in denselben, unglaublich grellen Farben – gelb, rosa, hellgrün, hellblau. Man müsste schon pervers sein, um Spülhandschuhe erotisch zu finden. Meinetwegen konnten sie die noch so exotisch machen – magenta, ultramarin, teakholzfarben, mit Nadelstreifen oder Glencheckmuster –, mich würden die immer kaltlassen.
    Es sagt doch niemand: »Fühl mal dieses Stück Parmesan«. Außer Parmesanherstellern, vielleicht.
    Manchmal, wenn ich in einem Fahrstuhl allein bin, lasse ich meine Finger leicht über die Knöpfe gleiten. Nicht so stark,dass ich ein anderes Stockwerk drücke, nur um die höckerigen Braillepunkte zu spüren. Und mir zu überlegen, wie das sein muss.
    Als ich das erste Mal jemanden mit einer Daumenkappe sah, konnte ich nicht glauben, dass ein richtiger Daumen darin steckte.
    Wenn der unwichtigste Finger nur ganz leicht beschädigt ist, zieht das die ganze Hand in Mitleidenschaft. Schon die einfachsten Handlungen – einen Strumpf anziehen, einen Knopf schließen, die Gangschaltung betätigen – werden verkrampft und unsicher. Die Hand geht in keinen Handschuh hinein, man muss beim Waschen aufpassen, darf nachts nicht darauf liegen und so weiter.
    Nun stell dir vor, du hast einen gebrochenen Arm und willst Sex haben.
    Ich hatte den jähen, brennenden Wunsch, dass ihr nie etwas Schlechtes zustoßen möge.
    Einmal habe ich im Zug einen Mann gesehen. Ich war elf oder zwölf und allein in meinem Abteil. Er kam den Flur entlang, schaute hinein, sah, dass es besetzt war, und ging weiter. Mir fiel auf, dass der Arm an seiner Seite in einem Haken endete. Damals dachte ich nur an Piraten und drohende Gefahr; später an all das, was man dann nicht tun kann; noch später an den Phantomschmerz nach Amputationen.
    Unsere Finger müssen zusammenarbeiten, unsere Sinnesorgane auch. Sie agieren für sich, aber auch als Vorläufer für die anderen. Wir betasten eine Frucht, um ihre Reife festzustellen; wir drücken unsere Finger in einen Braten, um zu testen, ob er gar ist. Unsere Sinnesorgane arbeiten zum Wohle aller zusammen: Sie sind Komplizen, wie ich gern sage.
    Anjenem Abend waren ihre Haare aufgesteckt und wurden von zwei Perlmuttkämmen gehalten und oben von einer goldenen Nadel. Die Haare waren nicht ganz so schwarz wie ihre Augen, aber schwärzer als ihre Leinenjacke, die etwas verblichen und verknittert war. Wir saßen in einem chinesischen Restaurant, und die Kellner schenkten ihr die gebührende Aufmerksamkeit. Vielleicht sahen ihre Haare ein bisschen chinesisch aus, oder vielleicht wussten die Kellner, dass es wichtiger war, sie zufriedenzustellen als mich – dass es mich zufriedenstellen würde, wenn sie zufrieden war. Sie überließ mir die Bestellung, und ich wählte das Übliche. Meeressalat, Frühlingsrollen, grüne Bohnen in Sojasoße, knusprig gebratene Ente, geschmorte Auberginen, einfachen gekochten Reis. Eine Flasche Gewürztraminer und Leitungswasser.
    An dem Abend waren meine Sinne schärfer als sonst. Als ich ihr vom Auto aus gefolgt war, hatte ich ihr leicht blumiges Parfüm bemerkt; doch das wurde bald von Restaurantgerüchen überdeckt, da ein Berg glänzender Spareribs an unserem Tisch vorüberschwebte. Und als das Essen kam, entspann sich der bekannte friedliche Wettstreit von Geschmack und Konsistenz. Das Papierene der gehackten Blätter, die sie Meeressalat nennen; das Knackige der Bohnen in ihrer heißen Soße; das Seidige der Pflaumensoße im Zusammenspiel mit dem Biss der Frühlingszwiebeln und dem festen Entenfleisch, alles von dem Pergament des Pfannkuchens umhüllt.
    Die Hintergrundmusik bot einen milderen Kontrast von Konsistenzen: von eingängig chinesisch bis zu unaufdringlich westlich. Meist konnte man darüber hinweghören, außer wenn sich eine bis zum Überdruss vertraute Filmmusik in die Gehörgänge bohrte. Ich schlug vor, wenn jetzt die Erkennungsmelodie aus Doktor Schiwago käme, sollten wirbeide rausrennen und vor Gericht seelischen Zwang geltend machen. Sie wollte wissen, ob seelischer Zwang tatsächlich als Gewalt im Sinne des Strafgesetzes anerkannt sei. Ich ging vielleicht etwas zu ausführlich auf diese Frage ein, dann redeten wir darüber, wo sich unsere Berufsfelder überschnitten: wo Juristisches in der Medizin eine Rolle spielte und Medizinisches in Recht und Gesetz. Dabei kamen wir aufs Rauchen und wann genau wir

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