Unbefugtes Betreten
verliebten Katze nachzuahmen. Doch als sie sich an den Klang gewöhnten, wurden sie anderen Sinnes. Allmählich war eine klare Melodie zu erkennen: vielleicht eine Eigenkomposition von M---, vielleicht eine freundliche Huldigung an oder gar eine Anleihe bei Gluck. Nie zuvor hatten sie eine solche Musik gehört, und dass sie blind waren gegen die Art ihrer Erzeugung, trug noch zur Fremdartigkeit dieser Klänge bei. Man hatte ihnen nicht gesagt, was sie zu erwarten hatten, und so konnten sie sich allein von ihrem Denken und Fühlen leiten lassen, als sie sich fragten, ob diese überirdischen Klänge nicht genau das waren – überirdisch.
Als M--- für einen Moment innehielt und sich mit einem kleinen Schwämmchen an den Halbkugeln zu schaffen machte,bemerkte ein Gast, ohne die Augen zu öffnen: »Das ist Sphärenmusik.«
M--- lächelte. »Musik strebt nach Harmonie«, antwortete er, »wie auch der menschliche Körper nach Harmonie strebt.« Dies war eine Antwort und zugleich keine Antwort; statt zu führen, ließ er andere lieber in seinem Beisein ihren eigenen Weg finden. Sphärenmusik erklang, wenn alle Planeten sich in Harmonie durchs Firmament bewegten. Irdische Musik erklang, wenn alle Instrumente eines Orchesters zusammenspielten. Die Musik des menschlichen Körpers erklang, wenn auch dieser sich in Harmonie befand, wenn zwischen den Organen Frieden herrschte, das Blut ungehindert strömte und die Nerven an den richtigen und dafür bestimmten Bahnen ausgerichtet waren.
Die Begegnung von M--- und Maria Theresia von P--- fand zwischen dem Winter 177- und dem Sommer des folgenden Jahres in der Kaiserstadt W--- statt. Das Verschweigen solch kleiner Details wäre zur damaligen Zeit ein geläufiger literarischer Manierismus gewesen; es ist aber auch ein taktvolles Eingeständnis der Unvollkommenheit unseres Wissens. Hätte ein Philosoph behauptet, er habe sein Gebiet vollständig erfasst und dem Leser werde eine perfekte, harmonische Synthese der Wahrheit vorgelegt, so hätte man ihn einen Scharlatan geschimpft; und auch die Philosophen des menschlichen Herzens, die sich mit dem Erzählen von Geschichten befassen, wären klug genug gewesen – und sollten es weiterhin sein –, keinen solchen Anspruch zu erheben.
So können wir zum Beispiel wissen, dass M--- und Maria Theresia von P--- sich schon früher, ein Dutzend Jahre zuvor, begegnet waren; doch wir können nicht wissen, ob MariaTheresia irgendeine Erinnerung an dieses Ereignis hatte. Wir können wissen, dass sie die Tochter der Rosalia Maria von P--- war und diese die Tochter des Thomas Cajetan Levassori della Motta, Ballettmeister am kaiserlichen Hof; und dass Rosalia Maria am 9. November 175- im Stephansdom mit dem Reichssekretär und Hofrat Joseph Anton von P--- getraut wurde. Doch wir können nicht wissen, was die Mischung solch verschiedenartigen Blutes mit sich brachte, und ob das womöglich die Ursache der Katastrophe war, von der Maria Theresia heimgesucht wurde.
Wir wissen wiederum, dass sie am 15. Mai 175- getauft wurde und dass sie beinah zur selben Zeit lernte, ihre Finger auf eine Tastatur zu legen, wie sie lernte, die Füße auf den Boden zu stellen. Dem Vater zufolge war das Kind von normaler Gesundheit, bis es am Morgen des 9. Dezember 176- blind erwachte; das Kind war damals dreieinhalb Jahre alt. Der Fall galt als Musterbeispiel einer Amaurosis: Das heißt, am Organ selbst war kein Defekt festzustellen, und doch war das Augenlicht gänzlich verloren. Man ließ das Mädchen untersuchen, und die Erblindung wurde auf die Auswirkungen eines Fluidums oder aber auf einen Schrecken zurückgeführt, den das Mädchen des Nachts erlebt hatte. Jedoch konnten weder die Eltern noch die Dienerschaft ein solches Ereignis bestätigen.
Da das Kind zärtlich geliebt wurde und aus vornehmem Hause stammte, war es nicht vernachlässigt worden. Sein musikalisches Talent wurde gefördert, die Kaiserin höchstselbst war auf das Mädchen aufmerksam geworden und wurde zu seiner Gönnerin. Den Eltern der Maria Theresia von P--- wurde eine Gnadenpension von zweihundert Golddukaten ausgesetzt und darüber hinaus gesondert Sorge getragen für die Ausbildung der Tochter. Sie erlerntedas Cembalo und Pianoforte bei Koželuh und bekam Gesangsunterricht von Righini. Mit vierzehn Jahren gab sie bei Salieri ein Orgelkonzert in Auftrag; mit sechzehn war sie eine Zierde der Salons wie der Konzertgesellschaften.
Für manchen, der die Tochter des Reichssekretärs bei ihren
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