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Unbefugtes Betreten

Unbefugtes Betreten

Titel: Unbefugtes Betreten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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aufzutreten wusste.
    »Ich möchte es so ausdrücken. Sie haben seit Ihrer Erblindung viele Schmerzen durch die besten Ärzte der Stadt erduldet?«
    »Ja.«
    »Und Sie sind dennoch nicht geheilt?«
    »Nein.«
    »Dann ist Schmerz vielleicht nicht der einzige Weg, der zur Heilung führt.«
    M--- praktizierte die magnetische Heilung nun schon zwei Jahre und hatte sich dabei unablässig gefragt, wie und warumdiese Kur wirken könne. Vor zehn Jahren hatte er in seiner Dissertation De planetarum influxu dargelegt, dass die Planeten Einfluss nähmen auf die Handlungsweisen und Körper des Menschen vermittels des Mediums eines unsichtbaren Gases oder einer unsichtbaren Flüssigkeit, worin alle Körper eingebettet seien und die er in Ermangelung eines besseren Begriffs als » gravitas universalis « bezeichnete. Von Zeit zu Zeit könne der Mensch die alles überspannende Verbindung erhaschen und sich befähigt fühlen, die über jeden hier und da herrschenden Missklang hinausgehende allumfassende Harmonie zu erkennen. Im vorliegenden Fall war magnetisches Eisen in Form und Gestalt eines vom Himmel gefallenen Meteors auf die Erde gelangt. Und hier entfaltete es nun seine einzigartige Eigenschaft, die Kraft zur Neuausrichtung. War daher nicht zu vermuten, dass der Magnetismus die große allumfassende Kraft war, welche die Harmonie der Gestirne zusammenhielt? Und war dann nicht vernünftigerweise anzunehmen, dass der Magnetismus in der irdischen Welt die Fähigkeit hatte, gewisse körperliche Disharmonien zum Abklingen zu bringen?
    Es lag natürlich auf der Hand, dass der Magnetismus nicht jedes körperliche Gebrechen heilen konnte. Am wirksamsten hatte er sich bei Magenbeschwerden, Gicht, Schlaflosigkeit, Ohrenkrankheiten, Leber- und Menstruationsstörungen, Krämpfen und sogar Lähmungserscheinungen erwiesen. Knochenbrüche, Schwachsinn und Syphilis konnte die Magnetkur nicht heilen. Hingegen ließ sich bei Nervenleiden oft eine erstaunliche Besserung erzielen. Dann wiederum richtete die Kur nichts aus, wenn ein Patient in Skeptizismus und Ungläubigkeit verharrte oder wenn Pessimismus und Melancholie die Möglichkeit einer Rückkehr zur Gesundheit zunichtemachten. Es mussteeine Bereitschaft vorhanden sein, die Auswirkungen des Verfahrens anzunehmen und zu begrüßen.
    Daher wollte M--- in seiner Praxis an der Landstraße 261 eine Atmosphäre schaffen, die dieser Akzeptanz günstig war. Schwere Vorhänge schlossen die Sonne und Geräusche von außen aus; dem Dienstpersonal war es verboten, jähe Bewegungen zu machen; überall war Ruhe und Kerzenschein. Bisweilen hörte man sanfte Musik aus einem anderen Zimmer; manchmal spielte M--- selbst auf Miss Davies’ Glasharmonika und gemahnte so Körper und Seele an die allumfassende Harmonie, die er, in diesem kleinen Teil der Welt, wiederherzustellen versuchte.
    M--- begann die Behandlung am 20. Januar 177-. Eine äußerliche Untersuchung bestätigte, dass Maria Theresias Augen schwere Missbildungen aufwiesen: Sie hatten ihre normale Ausrichtung verloren, waren stark geschwollen und hervorgetreten. Innerlich schien das Mädchen an einem Wendepunkt angelangt, wo die vorübergehenden Phasen der Hysterie zu einer chronischen Geistesgestörtheit führen konnten. Da sie nunmehr vierzehn Jahre enttäuschter Hoffnung und vierzehn Jahre unveränderter Blindheit erduldet hatte, war das keine unvernünftige Reaktion eines jungen Körpers und jungen Geistes. Daher hob M--- eingangs noch einmal hervor, wie sehr sich sein Heilverfahren von allen anderen unterschied; hier solle nicht durch äußere Gewalt wieder Ordnung geschaffen werden, sondern es handele sich um ein Zusammenwirken von Arzt und Patient mit dem Ziel, die natürliche Ausrichtung des Körpers wiederherzustellen. M--- drückte sich allgemein aus; nach seiner Erfahrung war es nicht günstig, wenn der Patient sich ständig bewusst war, was er zu erwarten hatte. Er sprach nicht von der Krisis, die er auszulösen hoffte, und traf auch keine Vorhersagen darüber, inwelchem Maße er eine Heilung für möglich hielt. Selbst den Eltern des Mädchens gegenüber äußerte er nur den bescheidenen Ehrgeiz, das starke Hervortreten der Augäpfel zu mildern.
    Er erläuterte seine ersten Maßnahmen sorgfältig, damit sie keine Überraschung auslösten. Dann wandte er sich den empfänglichen Punkten auf Maria Theresias Kopf zu. Er legte seine gewölbten Hände um ihre Ohren; er strich ihr vom Nackenansatz bis zur Stirn über den Schädel; er legte

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