Unbescholten: Thriller (German Edition)
sehr still. Als der Dieselmotor startete, schwamm er zum Kai hinüber. Er entdeckte eine rostige alte Kette, an der er sich festhalten konnte, bis das Schiff verschwunden war. Dann zog er sich auf den Pier hoch. Tropfnass stieg er in seinen Wagen, öffnete das Handschuhfach, holte GPS und Handy heraus und rief Roland Gentz an. Er berichtete, dass seine Männer tot waren und er drei Leute an Bord gesehen hatte – darunter auch Aron und Leszek.
Gentz dankte ihm für die Information und sagte, er werde sich bald zurückmelden. Damit war das Gespräch beendet.
Michael nahm es dem Kapitän nicht einmal übel, dass er auf ihn losgegangen war, immerhin hatte er den Steuermann vor seinen Augen erschossen. Aber er hatte ein Exempel statuieren müssen, denn in dem Augenblick, als er draußen die Schüsse hörte, wusste er, dass der Kapitän seine Abmachung mit den Hankes gebrochen hatte.
Diese Art, mit Menschen umzugehen, hatte er mitgebracht, als er anfing, für Ralph Hanke zu arbeiten. Und nach den gleichen Prinzipien hatte er gehandelt, als er in Stockholm Adalberto Guzmans Sohn überfahren sollte.
Er dachte nicht darüber nach, ob er falsch oder richtig handelte. So etwas wie Richtig oder Falsch gab es in dieser Welt nicht. Es gab nur Notwendigkeiten und Konsequenzen. War man sich dessen bewusst, konnte man das Leben einigermaßen im Griff behalten.
Vor einem Einkaufszentrum hielt er an. Die Leute starrten den großen, aus mehreren Wunden blutenden Mann an, der durch das Einkaufszentrum lief. In einer Drogerie kaufte er, was er benötigte, Bandagen, Pflaster, Desinfektionsmittel und die stärksten Schmerztabletten, die er fand. Es war ein wohlriechender Laden, eine Mischung aus Apotheke und Parfümerie. Er bezahlte seine Einkäufe, und die freundlichen Damen an der Kasse wichen seinem Blick aus.
Michail fuhr zu einer Raststätte. Er ging auf die Toilette und versorgte seine Wunden, so gut er konnte, dann schluckte er vier Schmerztabletten.
Er suchte sich einen ruhigen Platz im Restaurant und spülte sein Essen mit drei Bier herunter. Danach streckte er sich, dass seine Gelenke knackten. Er hatte noch immer höllische Schmerzen. Während er auf die Rechnung wartete, stellte er seinen GPS-Empfänger an. Er hatte einen Sender an einer von Guzmans Kokainkisten im Frachtraum des Schiffes befestigt. Das Display zeigte kein Signal, vermutlich befanden sie sich noch immer auf dem Meer.
Michail nahm sich ein Motelzimmer. Die hässlichen Bettbezüge rochen stark nach viel zu viel Weichspüler. Er zog sich aus und untersuchte sich vor dem Spiegel, er besah die roten und blauen Flecken am Oberkörper und rollte die Schultern, drehte den Hals hin und her. Alles halb so schlimm, er hatte Glück gehabt.
Das Handy klingelte. Michail ging zum Nachttisch und nahm das Gespräch an. Roland Gentz fragte, was sie jetzt tun sollten.
»Wir können dem Peilsender folgen, das ist alles.«
»Ralph ist sauer.«
»Das ist er doch immer. Ich werde sehen, was ich tun kann. Schickst du jemanden?«
»Du schaffst das schon alleine.«
Michail betrachtete sich erneut in dem großen Spiegel. Er drehte noch einmal den Kopf. Knackend rückte sich etwas in seiner Schulterpartie zurecht.
Michail hörte, wie Roland Gentz mit der Maus klickte, er surfte offenbar im Internet.
»Ralph ist wütend wie eine Scheißhornisse, also tu etwas. Er wird keine Ruhe geben, bevor die nicht begriffen haben, dass sie verloren haben.«
Michail antwortete nicht und beendete das Gespräch.
Anschließend duschte er und legte sich hin.
Um vier Uhr morgens klingelte sein Wecker. Er setzte sich auf und rieb sich die Müdigkeit aus den Augen. Die Schmerzen waren immer noch zu spüren, und das würde wohl auch noch eine Weile so bleiben.
Michail schaltete seinen GPS-Empfänger ein, stand auf und ging ins Bad. Dort wusch er sich über dem kleinen Waschbecken. Als er wieder ins Schlafzimmer kam, leuchtete das Signal des Senders. Er schaute auf die Karte. Die Kisten befanden sich jetzt in Westjütland.
Er zog sich an, verließ das Zimmer und setzte sich in den Mietwagen.
Dann bog er auf die Autobahn ein und verschwand im Morgennebel.
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Das kleine reetgedeckte Fachwerkhaus lag einsam und von Bäumen umstanden etwa hundert Meter von der alten Landstraße entfernt. Jens bog auf einem holprigen Sandweg ein und fuhr durch eine Allee, zu beiden Seiten erstreckten sich Weizenfelder. Die Färbung der Sonnenstrahlen hatte Jens aus Kindertagen von diesem
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