Unbescholten: Thriller (German Edition)
in etwa zwei Tagen wieder zu Hause, dann reden wir. Wenn vorher etwas passiert, melde dich.«
»Okay.«
Sie blieb in der Leitung, schien noch nicht auflegen zu wollen. »Ich wusste nicht, wen ich sonst anrufen sollte.«
»Sei vorsichtig«, sagte er und beendete das Gespräch.
Allmählich wurde es ein bisschen viel. Er fand eine Schachtel Zigaretten im Türfach, zündete sich eine an, ließ das Fenster wieder herunter und blies den Rauch nach draußen. Jens atmete die polnische Landluft ein und nahm einen leichten Geruch von Braunkohle wahr, der von einer Fabrik in der Nähe herüberwehte.
––––––––
Wieder ein anderes Auto. Lars hatte den Volvo gegen einen Saab getauscht. Es war ein alter, dunkelblauer 9000er, mit dem er nun nach Stocksund fuhr, die Abhöranlage im Kofferraum.
Er parkte, überprüfte den Empfang, schaltete die Stimmaktivierung ein, schloss das Auto ab und schlenderte zum Marktplatz von Stocksund. Dort setzte er sich in einen Bus, der ihn zum Krankenhaus in Danderyd brachte, nahm anschließend die U-Bahn und fuhr zum Hauptbahnhof.
In der U-Bahn stand er in Türnähe und hielt sich an einer Haltestange fest. Diese Arschlöcher wollten ihn absägen, er wusste es. Gunillas ganzes Verhalten deutete darauf hin – ihre Art, ihn zu ignorieren, ihn nicht teilhaben zu lassen, ihn auf einen endlosen Überwachungsauftrag anzusetzen und seine Berichte weder zu diskutieren noch zu kommentieren. Sie behandelte ihn wie einen flüchtigen Bekannten. Obendrein war ein großer, zurückgebliebener Rassist mit Doppelkinn im Büro in der Brahegatan aufgetaucht. Gunilla hatte ihn der Gruppe als neue Ressource vorgestellt. Hans Berglund, genannt Hasse, ehemaliger Streifenpolizist, ehemaliger Flughafenpolizist. Ein fettleibiger Verlierer, wie Lars fand. Er würde mithelfen, hatte Gunilla gesagt. Aber wobei? Was hatten Gunilla und Anders im Humlegården besprochen? Was ging hier vor?
Je länger Lars darüber nachdachte, desto verwirrter wurde er. Er versuchte sich zu konzentrieren, indem er die Augen zusammenkniff und sich kleine Vierecke vorstellte, kleine Schubladen, in die er die Ereignisse der letzten Zeit einsortieren konnte. Es wurden drei Schubladen, eine für Gunilla, eine für seine Überwachung und eine für Sophie. Er legte die verschiedenen Vorkommnisse in die verschiedenen Kästen, aber dann wurde er unsicher und sortierte sie wieder um. Es machte ihn wütend, dass er den Fokus verlor, er ertappte sich dabei, wie er vor sich hinmurmelte, und öffnete die Augen.
Ein Vater mit Kinderwagen sah ihn besorgt an. Lars schloss die Augen wieder und versuchte, zu seinen Vierecken zurückzufinden, wurde jedoch dadurch unterbrochen, dass sich jemand in der Nähe laut schnäuzte. Eine Lautsprecherstimme krächzte: Technische Hochschule und sagte etwas von einer Umsteigemöglichkeit in die Roslags-Bahn. Es hatte keinen Sinn, Lars gab es auf, und die Vierecke verloren sich in den Tiefen seines Bewusstseins.
Als er wieder zurück in seiner Wohnung war, setzte er sich im Arbeitszimmer auf den Boden und machte Skizzen auf einem Blatt Papier. Er schrieb auf, was passiert war, und stellte sich Fragen: nach Gunilla, nach Sophie und dem Auto in Haga. Was wusste Gunilla, was er nicht wusste?
Lars schrieb und zeichnete: Namen, Pfeile, Fragezeichen. Und Anders … Was tat Anders Ask dort mit Gunilla?
Noch mehr Fragen, aber keine Antworten – er schrieb, überlegte und schrieb weiter. Bald war das Blatt voll, dicht beschrieben mit viel zu vielen Fragen.
Lars stand auf und betrachtete die beiden Bilder an der Wand: ein Affe im Hawaiihemd, der auf einer Toilette saß, eine Klopapierrolle im Mund. Dieses Bild hatte er schon in seinem Kinderzimmer gehabt, er hatte es überallhin mitgenommen. Neben dem Bild hing ein vergrößertes Foto von Ingo Johansson in Shorts und Boxhandschuhen, leicht vorgebeugt und kampfbereit. Das hatte Lars von seinem Vater Lennart zum achten Geburtstag bekommen. Ingo ist keine scheiß Memme, merk dir das, Junge. Lennart trank immer vier Rob-Roy-Cocktails vor dem Essen, boxte gern zum Spaß, aber viel zu hart, und war überzeugt, dass die Juden die Geschicke der Welt lenkten und Olof Palme Kommunist war – so ungefähr sah sein Weltbild aus.
Lars nahm den Affen und Ingo von der Wand, legte sie auf den Boden und holte sich einen dicken Filzstift vom Schreibtisch. Er stellte sich vor die weiße Wand und fing an, das, was er eben zu Papier gebracht hatte, auf die Tapete zu übertragen.
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