Unbescholten: Thriller (German Edition)
Boden. Er schaute in die Küche. Ein Tisch, zwei Stühle und eine Kaffeemaschine. Es war still wie in einem Grab. Jens drehte sich um und betrachtete die Haustür, die er eben hinter sich geschlossen hatte. Im Türrahmen befanden sich etwa auf Kniehöhe zwei elektrische Leuchtdioden, wie man sie aus Geschäften kennt: Wird der Lichtstrahl unterbrochen, ertönt irgendwo ein Pling . Er sah sich die amateurhaft angebrachte Ausrüstung an, folgte dem Kabel und stellte fest, dass es mit einem schlampig verlegten Telefonkabel in der Deckenleiste verbunden war.
Er musste sich beeilen. Er rannte ins Obergeschoss hinauf, dort waren zwei Zimmer und ein Bad. Er suchte in der Garderobe und ließ den Blick über den Boden und die Wände wandern, vielleicht gab es ein Versteck. Dann rannte er wieder nach unten, untersuchte Küche, Wohnzimmer und das Zimmer, das nach hinten hinausging. Nichts. Jens überlegte abzuhauen, vielleicht hatte man ihn in eine Falle gelockt. Aber wer war eigentlich schlimmer: die Russen, wenn sie ihre Ware nicht bekamen, oder diese scheiß Deutschen, die vielleicht schon hierher unterwegs waren? Die Antwort lautete: die Russen. Er musste seine Waffen zurückbekommen!
Die Kellertür ließ sich schwer öffnen, sie war verzogen. Jens trat einen Meter zurück und holte Schwung. Nach zwei Tritten gab die Tür endlich nach.
Ein schwerer Geruch von Feuchtigkeit schlug ihm entgegen. In drei Sätzen sprang er die Treppe hinunter. Er suchte die Wände nach einem Lichtschalter ab. Er stolperte über irgendetwas und tastete sich an der Wand entlang. Noch ein Geruch machte sich bemerkbar, der Geruch von Verwesung. Er kannte ihn von den Herbstferien auf dem Land, wenn die Mäuse ins Haus kamen und in den Wänden krepierten. Es war derselbe Geruch, aber schärfer. Er musste würgen und atmete in seine Armbeuge, während er sich mit der anderen Hand weiter vorantastete.
Ganz hinten in der Ecke fand er schließlich einen Lichtschalter. Er stellte fest, dass er sich in einer leeren Garage befand. Und im grellen Licht einer Neonröhre sah Jens einen Körper. Mitten im Raum lag er rücklings über den Kisten mit den Waffen. Man hatte ihm die Kehle aufgeschlitzt, sein Gesicht war aufgequollen, gelb und wächsern. Jens starrte wie versteinert auf die Leiche. Er versuchte, die Angst zu unterdrücken, die in ihm hochschoss.
Da hörte er, wie die Haustür oben geöffnet und wieder geschlossen wurde. Die Schritte in den leeren Räumen hallten im Keller wider. Ein Paar große Schuhe wurden auf der obersten Treppenstufe sichtbar.
»Komm hoch«, rief Michail.
Als Jens oben war, riss Michail ihn herum und durchsuchte ihn nach Waffen. Als er nichts fand, stieß er ihn wieder von sich.
Auf dem alten Sofa saß ein junger Mann in Anzug und offenem weißen Hemd. Der ältere Mann, der am Fenster zur Straße stand, war strenger gekleidet. Er drehte Jens den Rücken zu.
»Und du behauptest also, du hast nichts mit den Guzmans zu tun.« Ralph Hanke drehte sich zu Jens um.
»Da liegt ein Toter auf meinen Kisten im Keller«, sagte Jens.
»Jürgen?«
»Ist mir scheißegal, wie der heißt. Würdet ihr so freundlich sein, ihn zu entfernen?«
Ralph Hanke lächelte. Sein Lächeln war freudlos, es war nur ein physiognomischer Zustand, bei dem sich seine Mundwinkel nach oben zogen, dachte Jens.
»Verstehst du, wir haben Jürgen lange gejagt. Er hat uns um vierzigtausend Euro betrogen und gedacht, es würde niemand merken. Was sind heutzutage schon vierzigtausend Euro? Dafür bekommst du nicht einmal ein anständiges Auto. Aber Jürgen konnte es nicht lassen.«
Ralph Hanke sah wieder auf die Straße hinaus.
»Natürlich hat er noch andere Dinge getan, die unsere Arbeit erschwert haben – wir bringen doch niemanden wegen vierzigtausend Euro um. Wir sind ja keine Unmenschen.«
»Wenn ihr freundlicherweise die Leiche von meinen Sachen nehmen könntet, dann bin ich gleich wieder weg. Ich hatte eine Vereinbarung mit Michail«, sagte Jens.
»Die gilt auch weiterhin … im Prinzip. Ich will nur mit dir reden, bevor du wieder fährst.«
Jens sah den jungen Mann an, der ihn schon die ganze Zeit musterte. Ralph Hanke drehte sich um.
»Mein Sohn Christian«, erklärte er.
Jens zuckte mit den Achseln.
Ralph kam zum Punkt. »Ich möchte die Guzmans einladen. Ich möchte, dass sie mit uns kooperieren. Von jetzt an kümmern wir uns um ihre Geschäfte. Sie werden sozusagen unsere Angestellten.«
Jens zuckte wieder mit den Schultern. »Ich habe
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