Unbescholten: Thriller (German Edition)
Dann trat er zurück und betrachtete sein Werk. Irgendetwas fehlte noch.
Lars druckte ein Foto von Sophie aus und befestigte es genau in der Mitte. Dann trat er wieder zurück und sah sich das Ganze an. Sie starrte ihn an, er starrte zurück. Etwas, das er noch nicht ganz verstand, begann Gestalt anzunehmen. Lars’ Herz schlug schneller. Er druckte weitere Bilder aus, Bilder von allen, die mit dem Fall zu tun hatten, und drapierte sie fächerförmig um das Bild von Sophie. Er schrieb dazu, wer sie waren, was sie getan und was sie nicht getan hatten. Er zog rote Verbindungslinien zwischen den Gesichtern, um einen Zusammenhang zu erkennen.
Alle Verbindungen führten zu Sophie. Das musste selbst ein Zugedröhnter wie er begreifen.
––––––––
Hector hatte angerufen. Seine Stimme klang fast unterwürfig, als wollte er besonders vorsichtig sein und sie nicht beunruhigen. Er hatte sie um Hilfe gebeten, doch Sophie wusste, dass dies nur ein Vorwand war, um sie zu treffen.
Hector lag auf seinem Sofa im Wohnzimmer in Gamla Stan. Sophie saß neben ihm und untersuchte den Riss in seinem Gips. Sie drehte das Bein vorsichtig hin und her. »Du solltest es einem Arzt zeigen.«
»Nimm ihn ab«, sagte er.
»Du musst ihn noch mindestens eine Woche tragen.«
»Ich habe keine Schmerzen, ich kann das Bein im Gips bewegen, also ist es jetzt doch sowieso zu spät.«
»Wie lange bist du so herumgelaufen?«
»Seit jenem Abend«, sagte er.
Jener Abend … Niemand wollte über diesen Abend sprechen, sie selbst am allerwenigsten.
»Bist du dir sicher«, fragte sie, »dass du den Gips abhaben willst? Es können Komplikationen auftreten.«
Er nickte. »Mach ihn ab.«
»Zange, Schere?«
»In der Küche, zweite Schublade von oben. Die Zange ist in der Werkzeugkiste unter der Spüle.«
Sie stand auf und suchte in seinen Küchenschubladen. Sie fand eine scharfe Spitzzange. Aber sie war sehr klein, es würde eine Weile dauern.
Sophie setzte sich wieder neben Hector, nahm die Zange und schnitt den Gips von oben nach unten auf.
»Das hättest du selber machen können«, sagte sie.
»Du hättest nicht mit dabei sein dürfen«, sagte er.
»Das hat Aron mir bereits klargemacht«, erwiderte sie trocken.
»Er ist derjenige, der sich Sorgen macht, nicht ich.«
Sie sah Hector an. »Soll ich das glauben?«
»Ja.«
»Dass du dir keine Sorgen machst?«
»Überhaupt nicht, in gar keiner Weise.«
»Warum?«, fragte sie.
»Weil ich dich kenne.«
»Nein, das tust du nicht.«
»Okay, dann weil du mich magst«, entgegnete er.
Sophie sah ihn an. Es gefiel ihr nicht, wie er das sagte und dabei lächelte. Er musste ihre Reaktion gesehen haben, denn sein Lächeln erlosch.
»Ich bin kein schlechter Mensch«, sagte er.
Sie antwortete nicht, sondern arbeitete weiter. Zum ersten Mal glaubte sie bei ihm so etwas wie Angst zu erkennen. Da war eine leichte Panik, die er mühsam in Schach zu halten versuchte.
»Dein Mann?«, fragte er.
Sophies Zange arbeitete sich langsam durch den Gips.
»Du redest nie von ihm«, sagte Hector.
»Doch. Du hast schon einmal nach ihm gefragt.«
»Das stimmt. Aber du erzählst nichts von dir aus.«
»Er ist tot«, sagte sie und konzentrierte sich auf die Zange.
»Ja, aber irgendetwas kannst du doch über ihn erzählen?«
»Das geht dich nichts an.«
Sie hielt inne und schaute ihn an.
»Wovor hast du Angst?«, fragte er.
Ihre Irritation wurde immer größer. »Ja, wovor habe ich wohl solche Angst, Hector?«
Ihr Sarkasmus schien auf ihn nicht zu wirken.
»Hattet ihr es gut miteinander, du und David?«
Worauf wollte er hinaus? Sophie ließ die Zange sinken.
»Was ist los, Hector?«
»Wieso denn?«
»Was soll das hier? Was willst du von mir?«
»Ich möchte wissen, wer du bist, was du mitbringst und wohin das mit uns führt.«
»Wohin das mit uns führt? Ich weiß es nicht. Findest du nicht, dass sich die Voraussetzungen geändert haben?«, fragte sie.
»Nein, finde ich nicht.«
Vielleicht war er einfach nicht in der Lage, ihren Schrecken nach dem, was geschehen war, zu verstehen und ihre Angst vor Arons Drohung.
Vielleicht hatte Gunilla recht gehabt, sie vor ihm zu warnen.
Diese Gedanken erschreckten sie, und es machte ihr plötzlich Angst, hier mit ihm allein zu sein. Sie empfand das dringende Bedürfnis, aufzustehen und zu gehen. Aber sie konnte es nicht.
»Nein, wir hatten es nicht so gut miteinander«, sagte sie stattdessen. »David war sehr mit sich selbst beschäftigt. Das habe
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