Uncharted - Das vierte Labyrinth
viel für sie gewesen war, dass Panik und Hysterie sie übermannt hatten. Doch das war alles nur gespielt. Sie führte die versammelte Gruppe an der Nase herum. Am liebsten hätte er sie geküsst, und wenn Sully kein allzu großes Problem damit hatte, würde er das bei nächster Gelegenheit auch nachholen. Vermutlich würde es ohnehin bloß ein Kuss auf die Wange werden – sie war für ihn mittlerweile so etwas wie eine kleine Schwester geworden.
„Jada, geht es dir gut?“, fragte Olivia mit vorgetäuschter Sorge. Ihre schauspielerischen Fähigkeiten waren mindestens ebenso überzeugend wie die ihrer Stieftochter. Sie schob Jada auf Armeslänge von sich und musterte ihr Gesicht und ihre Bluse. Beides war voller roter Spritzer von dem Blut des Vermummten, den Drake angeschossen hatte. „Wessen Blut ist das?“
„Wo ist Ian?“, wiederholte Hilary. „Wer hat da geschossen?“ Sie starrte Sully und Drake finster an. „Und wer sind Sie? Aber kommen Sie mir jetzt bloß nicht mit dieser Geschichte vom Smithsonian!“
„Dr. Russo“, begann Drake in der Hoffnung, dass er aufrichtig klang, obwohl er vollauf damit beschäftigt war, sich an seinen falschen Namen zu erinnern. „Ich bin Nathan … Merrill. Wir sind Freunde von Jada und versuchen, ihr zu helfen. Sie glaubt, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Mord an ihrem Vater und seinem letzten Besuch in Ägypten gibt.“
„Mord? O mein Gott!“, entfuhr es Hilary. Sie warf Olivia einen ungläubigen Blick zu. Vermutlich fragte sie sich gerade, warum man ihr das nicht schon vorher gesagt hatte.
„Am Ende dieses Ganges gibt es drei Gebetskammern“, erklärte Sully. „An der Rückwand dieser Kammern gibt es Türen. Als wir den Gang unter dem Altar fanden, gingen wir mit Erlaubnis von Dr. Welch nach unten, aber wir waren hier nicht allein. Da waren noch andere Leute.“
„Das kann nicht sein!“, rief eine Stimme aus dem Hintergrund.
Ein wenig verlegen, aber auch besorgt trat die rothaarige Melissa nach vorne, vorbei an dem titanenhaften Mann, der Tyr Henriksen war. Sie waren enger zusammengerückt, und nun konnte Drake im Lichtkreis der Taschenlampen sein Gesicht ausmachen. Henriksen erwiderte seinen Blick aus eisblauen Augen, hielt den Mund aber geschlossen. Falls er Jada, Sully und Drake tot sehen wollte, müsste er die anderen im Tunnel ebenfalls umbringen – und anschließend jedes weitere Mitglied der Expedition oben. Er mochte ein skrupelloser Mistkerl sein, aber er war auch der Kopf eines internationalen Unternehmens, und einen solchen Massenmord zu vertuschen, könnte schwierig werden. So, wie er aussah, war ihm das im Moment aber wohl komplett egal. Sein Blick schrie förmlich nach Blut.
„Niemand außer Ihnen ist hier heruntergegangen“, fuhr Melissa fort. „Ich war die ganze Zeit am Eingang.“
„Dann muss es noch einen anderen Weg hierher geben“, erklärte Sully. „Diese Türen in den Gebetskammern – einige Kerle sind herausgekommen und haben uns angegriffen. Sie haben Dr. Welch mitgenommen.“
Hilary Russo starrte ihn an, und ihr war deutlich anzusehen, wie wenig sie ihm Glauben schenkte. „Das ist eine Lüge.“
„Tut mir leid, aber so war es“, meinte Drake. „Sie haben ihn durch eine der Türen gezerrt und dann … “
Doch die Archäologin hörte schon nicht mehr zu. Sie rannte den Korridor hinab, und ihre Schritte wurden immer schneller. Guillermo und ein paar andere folgten ihr. Drake wünschte, sie hätten bleiben und bei der Suche nach Ian Welch helfen können. Aber falls der Wissenschaftler hier noch irgendwo war, würden seine Kollegen ihn finden. Drake, Sully und Jada mussten schleunigst weg aus Krokodilopolis, bevor der Schlamassel noch größer wurde und man sie nicht mehr gehen ließ. Die Aussicht auf einen längeren Aufenthalt in einer ägyptischen Gefängniszelle war so gar nicht nach seinem Geschmack.
„Jada braucht ein wenig frische Luft“, wandte Sully sich an Olivia. „Sie verstehen sicher.“
Olivia vibrierte förmlich vor Unentschlossenheit. Hilfe suchend blickte sie Henriksen an, der die Hände zu Fäusten ballte. Melissa und ein paar andere an der Ausgrabung Beteiligte waren bei ihnen geblieben, und für einen Moment glaubte Drake, dass der blonde Hüne alle Vorsicht in den Wind schlagen und anfangen würde, mit diesen riesigen Pranken Genicke zu brechen.
„Natürlich“, sagte Olivia schließlich, aber ihre Augen blieben auf Henriksen gerichtet, während sie sprach. Mit einem flehenden Blick
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