Und alles nur der Liebe wegen
Eichhörnchen, es soll Nudeln essen! Beim nächsten Mal sprenge ich die Bank wieder. Der Bengel wäre ein gutes Anfangskapital wert gewesen. Als er auf der Autobahn stand und winkte, da schoß es mir wie ein Blitz durch den Kopf: Das ist die Rettung. Ich kam gerade von Neuenahr, völlig blank. Und jetzt ist er weg.«
»Und wenn er tot ist?«
»Das wäre übel! Er war ein netter Bengel, ich mochte ihn. Ein aufgewecktes Kerlchen. Aber noch ist Hoffnung. Ich glaube immer noch, daß er sich versteckt hat. Morgen wird er aus den Felsen herauskommen.«
»Von mir aus«, sagte der Mann in Deutschland grob. »Ich halte jedenfalls meinen Kopf nicht hin, um deine Spielschulden zu bezahlen. Und damit Schluß!«
Der Mann mit dem Sportwagen legte auf. »Spießer!« murmelte er.
Peter war den Steilhang hinuntergerutscht und an den Wasserfall gekommen, den er schon von weitem gehört hatte. Von einer Felsnase aus, die wie eine Sprungschanze hervorragte, fiel der Bach senkrecht in eine Felsenwanne hinunter, wo das Wasser wie Staub aufprallte, noch einmal in den Himmel stieg und dann in Kaskaden über eine Steintreppe ins Tal hinunterfloß.
Es war ein herrlicher Anblick. Peter setzte sich müde auf einen Stein, ließ sich von dem Wasser besprühen und sah dem Felsensturz des Baches lange zu. Es dunkelte schon, als er wieder aufstand und neben dem Bach ins Tal rutschte. Mit der Abenddämmerung kam wieder die Furcht. Allein in der Nacht im Wald – das stellte er sich gar nicht romantisch vor. Auch der Mut eines Jungen hat Grenzen, und bei ihm war diese Grenze genau da, wo der Wald nachts schwarz wurde und fremde Geräusche um ihn erwachten.
Er stieß einen Jubelruf aus, als er in der Nähe des Baches eine niedrige Hütte sah, aus der sogar Rauch stieg. Ein Mann saß vor der Tür und wetzte seine Axt. Er trug ein grünes Hemd, eine speckige Lederbundhose, dicke Wollstrümpfe und mächtige Bergschuhe. Auf dem runden Kopf hatte er einen Hut mit einem riesigen Gamsbart.
Ein Mensch, dachte Peter, ein richtiger Mensch. Er wird mir helfen. »Hallo!« rief er und winkte. »Hallo!«
Der Mann sah erstaunt auf. Er wartete, bis sich Peter den Hang heruntergehangelt hatte, und musterte ihn dann mit großer Neugier. »Woher kimmst?« fragte er freundlich.
»Von dort.« Peter zeigte den Abhang hinauf. »Von dort hinten. Ich weiß nicht, wie das hier heißt.«
»Aha«, brummte der Mann.
»Bist du ein Holzfäller?«
»Ja.«
»Kann ich bei dir schlafen?«
»Geh rein.« Der Holzfäller nickte zur Tür hin.
Peter ging hinein. Es roch nach frischem Holz und kaltem Rauch. Müde legte er sich auf eine Holzpritsche und war schon eingeschlafen, als der Mann später eintrat.
»Ein Bub, der vom Himmel fällt«, meinte er nachdenklich und betrachtete den schlafenden Peter, »na, so was.« Er deckte ihn zu und steckte die Petroleumlampe an.
Draußen rauschte der Bach, die Käuzchen schrien, Eulen flatterten durch den Wald. Allein im Wald wäre Peter vor Angst umgekommen. Jetzt schlief er fest und ruhig.
Ludwig Etzel erlitt in der Nacht noch einmal eine schwere Herzattacke. Lucia, die in höchster Aufregung den Arzt benachrichtigt und ihn kurz darauf ins Haus gelassen hatte, saß jetzt erschöpft am Bett ihres Mannes und betrachtete seine entspannten Züge. Die widerstreitendsten Gefühle gingen ihr in diesen Minuten durch den Kopf: Dankbarkeit, weil er die akute Bedrohung überlebt hatte, Haß, weil sie sich nun schon jahrelang von ihm im Stich gelassen fühlte, Angst, weil es noch immer kein Lebenszeichen von Peter gab. Schließlich die großen Fragen: Was ist mit mir los, daß ich einem Beljonow nachlaufe und damit unser Familienleben aufs Spiel setze, anstatt es – trotz Ludwigs Abwesenheit – so gut wie möglich zu erhalten? Ist das Unheil, das sich über uns zusammengebraut hat, vielleicht eine Folge meiner Schwäche, meines Egoismusses? Oder ist Ludwig an allem schuld, weil er, nachdem er die Familie gegründet hatte, so tat, als ginge sie ihn nichts mehr an? Gewiß, er hat viel Geld für uns verdient und uns damit ein angenehmes Leben ermöglicht; aber Geld, lieber Ludwig, kann nicht alles ersetzen – das, wenigstens das, solltest du als Lehre aus diesem Fiasko ziehen! Und was mich betrifft: War Beljonow nur ein oberflächliches Abenteuer, oder hänge ich mehr an ihm, als ich wahrhaben will?
Lucia war so in ihre Gedanken vertieft, daß sie das Klingeln des Telefons zunächst gar nicht wahrnahm. Erst nach einer Weile nahm sie den
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