Und am Ende siegt die Liebe
reagiert hatte. Übermorgen, dachte sie. Dann blieb nicht mehr viel Zeit, wenn sie sich noch der Gewalt entziehen wollte, die er über sie hatte.
»Keinen Kuß zum Abschied?« meinte Travis scherzend an der Tür. »Nichts, um mich dort draußen warm zu halten?«
Sie nahm ihren Schuh vom Boden und schleuderte ihn gegen Travis, doch diesmal duckte er sich rechtzeitig. Lachend schloß er die Tür hinter sich ab und ging die Treppe hinunter.
Heute nacht war Regan zu müde zum Grübeln, und sie schlief bald ein.
Gedämpftes Poltern weckte sie. Das konnte nur Travis sein, der versuchte, auf Zehenspitzen im Zimmer umherzugehen. Sie tat so, als schliefe sie, auch als er sich über sie beugte und sie auf die Wange küßte. Dann schien er wieder aus dem Zimmer gegangen zu sein, und sie lauschte auf das ihr inzwischen vertraute Geräusch des Schlüssels im Schloß. Doch als es ausblieb, setzte sie sich kerzengerade auf. Sie rieb sich zweimal die Augen, ehe sie zu ihrer großen Überraschung feststellen konnte, daß die Tür offenstand.
Nun verlor sie keine Sekunde Zeit: sie sprang aus dem Bett, streifte sich das Samtkleid über den Kopf und raffte ihre Schuhe an sich. Um ja kein Geräusch zu machen, schob sie die Tür mit dem Rücken noch weiter auf, verließ das Zimmer und ging zur Treppe. Bisher hatte sie nur dieses Zimmer kennengelernt und stellte nun überrascht fest, daß es am Kopfende einer schmalen steilen Stiege lag und, nach den Gerüchen zu urteilen, die zu ihr heraufdrangen, von der Küche aus erreichbar sein mußte. Sie drehte den Kopf und sah in der Nähe der untersten Stufe ein mit einem Schaftstiefel bekleidetes Bein, das Travis gehören mußte. Doch als sie schon jede Hoffnung aufgeben wollte, hörte sie rasende Hufschläge, das Rollen einer Kutsche und eine Stimme, die nach Hilfe schrie. Voll freudiger Genugtuung sah sie, wie Travis durch eine Tür ins Freie lief.
Binnen Sekunden war Regan die Treppe hinunter und eilte dann auf Zehenspitzen durch die fast leere Küche, wo die wenigen Bediensteten sich am Fenster drängten, um zu beobachten, was draußen vorging. Schließlich stand sie im hellen Sonnenlicht auf der Straße.
Sie hatte keine Zeit mehr, sich erst die Schuhe anzuziehen, denn sie wußte, daß Travis ihre Flucht sehr bald entdecken würde. Zunächst galt es, sich möglichst weit vom Wirtshaus zu entfernen, wenn ihr Ausreißversuch tatsächlich Erfolg haben sollte.
Trotz ihrer guten Vorsätze waren ihre Füße bald so wund, daß sie sie nicht länger ignorieren konnte, und die Leute begannen, auf sie aufmerksam zu werden. Sie humpelte einen Moment, entdeckte dann eine dunkle Gasse zwischen zwei Gebäuden und flüchtete dort hinein, wo sie sich zwischen einige, entsetzlich riechende hölzerne Fischkisten duckte. Sie ermahnte sich, in Ruhe nachzudenken, denn sie wußte, daß sie ohne einen vernünftigen Plan ihre Freiheit nie wiedergewinnen konnte.
Sie setzte sich auf eine der Lattenkisten, zog sich die Schuhe an und versuchte, die Riemen um ihre Knöchel zu befestigen. Ihr Herz, das wie rasend klopfte, beruhigte sich etwas, und sie begann, ihre Möglichkeiten zu überdenken. Sie brauchte eine Anlaufstelle, einen Ort, wo sie sich verstecken konnte, bis sie eine Beschäftigung fand. Sie mußte sich verstecken, bis dieser Amerikaner das Land verlassen hatte.
Sie war so in Gedanken vertieft, daß sie nicht auf die Rufe achtete, die von der Straße her kamen, bis sie Travis entdeckte. Es dauerte Sekunden, ehe sie begriff, daß er sie gar nicht bemerkt hatte, sondern nur den Leuten auf der Straße mit lauter Stimme Anweisungen gab. Sie machte sich so klein wie möglich, hockte sich zwischen die Kisten und betete, daß er sie nicht sehen möge.
Als Travis sich wieder umdrehte und die Straße hinunterlief, bewegte sie sich nicht von der Stelle, weil sie spürte, daß dieser Mann nicht so leicht aufgab. Nein, Travis Stanford war zu sehr von der Richtigkeit seiner Handlungsweise überzeugt, daß er gar nicht erst auf die Meinung anderer hörte. Wenn er einen Menschen gefangenhielt, dann ließ er ihn gewiß nicht widerstandslos entkommen.
Sie blieb in ihrer steifen, unbequemen Lage sitzen und versuchte, sich eine Strategie zurechtzulegen. Zunächst mußte sie weg vom Hafen, und das bedeutete, daß sie das Meer immer im Rücken haben mußte. Lächelnd überlegte sie, daß das doch nicht schwierig sein konnte, und war überzeugt, ihr Problem zur Hälfte gelöst zu haben. Die andere Hälfte ihres
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