Und da kam Frau Kugelmann
überschlagender Stimme schrie sie im Klassenzimmer ihren Ärger heraus, doch der erbitterte Streit um den Primat der Sprachen tobte durch alle Straßen und spaltete unsere ganze Stadt.
Der schöne Adam, mein liebster Klassenkamerad, stand auf Frau Kleinowas Seite. Denn der Adam war ein strammer Patriot, ein Nationalist, erfüllt von tiefer Vaterlandsliebe. Er wusste aber nie so genau, auf welcher Seite sein Vater stand. Keinesfalls wollte er sich mit einer ungeschickten Bemerkung eine Kürzung seines Taschengelds einhandeln. Darum schwieg er sorgsam gegenüber seinem Vater.
Sogar der Vorstand unserer Schule war in sich gespalten. Der Verwaltungsrat, bestehend aus dem reichen Fürstenberg und anderen fortschrittsgläubigen honorigen Herren war sich einig: Man war zionistisch ausgerichtet und sah die Gründung eines jüdischen Staates als den Tag einer nationalen Befreiung an. Mitten unter ihnen aber saß unser Herr Direktor, mager und unnahbar. Er beschwichtigte die polnischen Erziehungsbehörden, die wenig Verständnis aufbrachten für die Bildung einer jüdischen Nation. Unser Direktor Smolarski, aus der berühmten Kulturstadt Krakau stammend, Doktor der Philosophie und Mitglied einer konservativen polnischen Partei, sondierte die Forderungen der Honoratioren, taktierte, wiegelte ab und verschleierte das Innenleben der Schule, so gut er konnte.
Auf Anweisung des Herrn Direktors haben wir einmal an einer Demonstration in Gdynia teilgenommen. Als Einziger von uns lief der schöne Adam voraus, in der Hand die flatternde weiß-rote polnische Fahne. Was war er doch für ein glühender Patriot, ein vor Begeisterung hingerissener Pole! Gemeinsam mit den polnischen Schülern forderten wir lautstark einen größeren Zugang zum Meer. Denn der kleine Anteil an der Danziger Bucht reiche nicht aus für die Schifffahrt eines aufstrebenden jungen Landes, das auch noch eine reiche koloniale Seemacht werden wolle! An diesem Tag haben wir alle unseren Spaß gehabt, und keiner von uns, noch nicht einmal der schlaue Gonna, hat über den polnischen Imperialismus nachgedacht.
Ganz besonders aber genoss Adam den polnischen Staatsfeiertag. Am dritten Mai marschierte er, eingekleidet in seine frisch gebügelte Schuluniform, die an ihm saß wie ein Guss aus geschmolzener Schokolade, gemeinsam mit den Soldaten der Bendziner Garnison durch unsere Paradestraßen. Bei den Militärparaden mit Musik, Pferden und Artillerie war Adam mit ganzem Herzen dabei. Aber wenn ich es mir recht überlege, war er vielleicht doch nur mit dem halben Herzen dabei, denn als er ganz klein war – so hat er es mir in einem schwachen Moment erzählt –, spielte er mit den Schguzim, den polnischen Burschen, auf der Straße. Von Ferne sah er seinen Großvater kommen, ein schöner Jude mit Bart, im seidenen Gewand, nicht allzu fromm, aber dennoch den Gesetzen gehorchend. Adam freute sich, seinen Großvater zu sehen, seine kleinen Freunde aber riefen:
›Los, Adam, klaub Steine zusammen!‹
›Warum Steine‹, fragte Adam, ›was ist denn passiert?‹
›Siehst du denn nicht, da kommt ein Jude, schnell, sammel Steine zum Werfen!‹, brüllten die Kameraden.
›Nein, keine Steine werfen!‹, schrie der kleine Adam entsetzt, ›bloß keine Steine werfen, das ist mein Opa, seht ihr das nicht!‹
Ich weiß nicht mehr genau, wann ich mich in den schönen Adam verliebt habe. Plötzlich wandte ich mich von der Polin ab, und meine ganze Leidenschaft galt Adam. Anfangs, wenn Adam in die Nähe kam, setzte mein Atem aus, und ich erstarrte, bis er vorübergegangen war. Auch ein Zittern der Erde, ein Erdbeben gewaltigen Ausmaßes hätte mich nicht von der Stelle bewegen können. Ein paar Wochen später wagte ich nicht, ihm in die schönen Augen zu sehen. Unter seinem spöttischen Blick wäre ich wie eine brennende Fackel zu einem Häuflein Asche verglüht.
Von dem Zeitpunkt an, als ich mich in Adam verliebt habe, hieß er ›schöner Adam‹. Ich habe ihm den Namen gegeben, weil alles an ihm so schön war, und die anderen, vor allem er selbst, hatten nichts dagegen einzuwenden. Adams Augen sind heute für mich noch genauso schön wie damals, auch wenn ich die Einzige bin, die das noch so sieht. Auch heute noch, wann immer der nach seinem schweren Schlaganfall gelähmte Adam mich stumm ansieht, kann ich seinem Blick nicht widerstehen. Noch in seiner Gebrechlichkeit weiß er, wie seine hellen wasserblauen Augen auf mich wirken.
Schön geschwungene Augenbrauen hatte er
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