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Und da kam Frau Kugelmann

Und da kam Frau Kugelmann

Titel: Und da kam Frau Kugelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minka Pradelski
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sobald Adam von der Schule nach Hause kam. Adam und Godel aber rannten, reisefiebrig wie sie waren, schnurstracks von der Schule zum Bahnhof. Und so stiegen sie ohne Geld und Proviant in den Zug nach Katowice. Zu ihrem Glück kontrollierte kein Schaffner die Bahnfahrt. In Katowice stiegen sie aus und liefen einem Herrn aus Bendzin in die Arme, dem Jacob Teitelbaum, der dieses Jahr schon zum dritten Mal in Katowice unterwegs war, um neue Mäntel für sein florierendes Geschäft einzukaufen. Adam nannte seinen Namen, stellte sich als Sohn des bekannten Seifenfabrikanten Jungblut vor und als Klassenkamerad von Marysia, Teitelbaums einziger Tochter. Er behauptete, sein Portemonnaie während der Bahnfahrt verloren zu haben. Daraufhin gab der Herr den beiden aus Mitleid Geld für die Heimreise. Sie kauften sich Fahrkarten nach Zory, denn weiter reichte das Geld nicht, und stiegen wieder in den Zug.
    Doch ein paar Kilometer hinter Zory wurden sie vom Schaffner erwischt. Sie rannten auf die Toilette, versuchten, die Tür mit aller Kraft zu schließen, doch der Schaffner hatte schon seinen Fuß dazwischen. Er zog sie an den Ohren heraus und warf sie an der nächsten Station mit einem so festen Tritt aus dem Zug, dass sie auf den Bahnsteig fielen. Zu Fuß gingen sie nach Ustron weiter, wo der Adam einen Freund hatte, einen Fabrikantensohn, Henryk Feingold, den er von der Sommerfrische her kannte. Adam erzählte ihm, dass sie schulfrei hätten und Besuche machen würden, dummerweise hätten sie ihre Brote auf dem Weg verloren. Henryk gab ihnen ein wenig zu essen, aber bei weitem nicht genug, um den hungrigen Adam zu sättigen. Sie übernachteten im Kinderzimmer des Freundes. Mitten in der Nacht stand der schöne Adam auf und stahl einen ganzen Laib Brot aus der Küche, den er fast ganz alleine aufaß, so dass für Godel nur noch wenig übrig blieb.
    Frühmorgens sind sie dann weitergewandert, durch den Wald und noch viel weiter. Unterwegs stahl Adam immer wieder Brot, es hat ihm kaum noch was ausgemacht, den anderen Leuten das Brot zu rauben. Dann wurden sie plötzlich von der polnischen Grenzwache aufgegriffen und zur Grenzstation gebracht. Die wachhabenden Soldaten überprüften Augenfarbe, Brille und Schuluniform und stellten zweifelsfrei fest, dass sie die gesuchten Ausreißer aus Bendzin waren. Sie wurden zur Polizeistation gebracht, haben auf harten Holzbänken bis zum späten Abend auf das Eintreffen ihrer Eltern gewartet. Adam dachte über alles nach. Gut, bis nach Abessinien waren sie nicht gekommen, ein richtiger Kampf hatte auch nicht stattgefunden. Die nächste Reise würde er besser vorbereiten. Strafen hätte er keine allzu schweren zu erwarten, denn die Mutter war weichherzig und verzieh ihm schnell. Mal sehen, ob er in der Schule eine Rüge erhalten würde. Aber die Lehrer haben den kleinen Ausreißer nicht einmal auf sein Fehlen hin angesprochen, so groß war die Sorge, der Adam könne wegen eines Tadels von neuem ausreißen, diesmal womöglich weit über die Grenzen Polens hinaus. Der schöne Adam hat die besondere Vorsicht sofort bemerkt und ziemliches Kapital für sich daraus geschlagen. Bei seinen Klassenkameraden war er ein Held, und zwei von ihnen haben eine ganze Zeit lang nicht mit ihm gesprochen, weil er sie nicht als Kämpfer in den abessinischen Krieg mitgenommen hat.«
    Ich bin hellwach. Meine Müdigkeit ist verflogen. Ich sitze kerzengrade, wie angebunden in meinem Stuhl, traue meinen Ohren nicht. Der kleine Adam genoss in Bendzin eine unerhörte Freiheit! So ein unbeschwertes lustiges Leben habe ich in meiner Jugend nicht gekannt!
    »Frau Kugelmann, mir brennt eine Frage auf den Nägeln.«
    »Machen Sie es kurz. Allzu lange möchte ich mich nicht mit Ihrer Fragerei aufhalten«, antwortet sie trocken und steht von ihrem Stuhl auf, um sich die Beine zu vertreten.
    »Hat Adam denn keinen Augenblick daran gedacht, wie sehr sein Verschwinden seine Eltern ängstigen könnte?«
    »Nein«, sagt sie, und ihre Augen funkeln, wie immer wenn sie über Adam spricht. »Der dachte damals nur an sein Vergnügen. Die Eltern haben die Polizei benachrichtigt, um die beiden Ausreißer wieder einzufangen. Keiner glaubte ernsthaft daran, dass sie allzu weit kommen würden.«
    »Die Eltern haben sich nicht allzu sehr um ihn gesorgt?«, frage ich über alle Maßen erstaunt.
    »Es gab öfters kleine Ausreißer in Bendzin«, sagt Frau Kugelmann verschmitzt. Sekundenlang blitzt die junge Bella aus ihr, und mir ist, als

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