Und da kam Frau Kugelmann
Würgereiz zersetzt die Lust, sie stirbt ab, verschwindet. Wütend nehme ich das Messer in die Hand, breche den Schaft von der Klinge, lege die beiden unbrauchbar gewordenen Teile auf den Obstteller. Ich atme auf, fühle mich wie von einer zentnerschweren Last befreit. Die Gefahr ist bis zum nächsten Kampf gebannt. Meine Stimmung hellt sich auf. Ich schalte den Fernseher ein, höre brandneue amerikanische Hits, reiße hektisch die Schranktür auf, wühle meine Sachen durch, bis ich endlich meinen neuen Badeanzug finde. Noch ein letzter Blick in den Spiegel, und schon verlasse ich das Zimmer, gehe heiter, fast fröhlich hinunter an den Strand. Augen auf, sage ich mir, mal schauen, wer mir wohl heute am Meer begegnet.
Als Frau Kugelmann am nächsten Morgen mein Zimmer betritt, liege ich mit Kopfschmerzen im Bett. Unten am Strand traf mich gestern ein harter Racketball am Kinn. Noch nicht einmal eine plumpe Anmache. Der junge gutaussehende Mann, der den Ball versehentlich in meine Richtung schlug, warf mir noch einen zornigen Blick zu, als hätte ich den Zwischenfall selbst verschuldet. Ich hätte ihm nicht im Weg zu stehen. Wie hübsch er in seiner Erregung aussah. Er gefiel mir. Als er auf mich zukam, sah ich seinen geschmeidigen Körper. Er roch nach Meer und Öl. Bei weitem hatte er die dreißig überschritten und trug keinen Ehering am Finger. Ich ließ mich auf den Boden fallen, als habe mich der Ball schwer getroffen. Er hob den Ball auf, streifte dabei unwillkürlich meine Hand. Elektrisiert starrte ich auf seine rasierte Brust. Er säuberte den Ball vom Sand, ließ ihn spielerisch von einer Hand in die andere gleiten, ehe er sich wieder auf sein Ballspiel konzentrierte. Er half mir noch nicht einmal auf. Vielleicht hätte ich vor Schmerz laut aufschreien sollen, dachte ich verzweifelt. Wer sich in diesem Land nicht brüllend zur Wehr setzte, wurde nicht beachtet. Jetzt war es zu spät. Tief gekränkt stand ich auf und stahl mich davon. In der prallen Sonne ging ich dann noch ohne Kopfbedeckung spazieren, bis ich mich so richtig elend fühlte. Erschöpft fiel ich abends ins Bett und vergaß, die Tür abzusperren. Ich habe Frau Kugelmann nicht klopfen hören. Müde, benommen, mit einem schmerzenden Sonnenbrand auf den Schultern, bedeute ich ihr einzutreten. Sie darf mich heute berieseln, ich will mich ablenken, sie kommt mir gerade recht. Vielleicht gehen so meine lästigen Kopfschmerzen weg. Ich reibe mir gähnend den Nacken. Frau Kugelmann beobachtet mich. Sie geht ins Bad, kommt mit einem Zahnputzglas voller Leitungswasser zurück, stellt es mir wortlos hin. Dankbar trinke ich das lauwarme Wasser aus. Sie wartet, bis ich aufgestanden bin. Dann löst sie die doppelten Riemchen ihrer Sandalen mit der eingearbeiteten gewölbten Stütze für Spreizfüße, zieht sie aus, stellt sie vor ihren Sessel, so dass sie später ohne aufzustehen bequem hineinschlüpfen kann. Sie nimmt sich einen großen Schluck Wasser aus der Eisflasche, blickt lange sinnend auf die feine Sandspur, die seit gestern Abend von der Tür zu meinem Bett führt.
Mein schöner Adam
»Einmal«, sagt sie, »kam der berühmte Dichter Bialik aus dem fernen heißen Küstenland Palästina zu uns und hielt einen Vortrag an unserer Schule. Es war totenstill im Saal, als der Dichter sagte, wir würden mit dem Erlernen der polnischen Geschichte und Literatur nur unsere Zeit vergeuden. Hebräisch sei unsere Sprache und Palästina unser Land. Am nächsten Morgen brüllte die Kleinowa, unsere nervöse Polnischlehrerin, wir seien in Polen geboren, und Polen sei unser Land, die polnische Poesie sei uns heilig, die lasse sie sich nicht beschmutzen. Es gäbe gar keinen Primat der hebräischen Sprache, geschweige denn ein richtiges Land. Und wer gar auf das Jiddisch als einheitliche Sprache zurückgreifen wolle, schrie sie, dem sei nicht mehr zu helfen. Jiddisch sei ein Relikt aus dem Mittelalter, nein, viel schlimmer noch, ein Rückfall in die primitive Steinzeit, nein, noch weiter zurück, ein Rückfall zu den Anfängen der Menschheit! Zugegeben, die Kleinowa war eine Hysterikerin. Sie hatte ein leidenschaftliches rundes Gesicht, breite Wangenknochen, rollende, leicht hervorquellende blassblaue Augen, fahles gelbstichiges Haar, im Nacken zu einer Schnecke aufgerollt. Mit Vorliebe trug sie blütenweiße kleine Krägelchen, und sie benutzte ihre Hände zum Reden, die Finger kräftig voneinander abgespreizt. In hoher Tonlage, schrill, mit sich
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