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Und da kam Frau Kugelmann

Und da kam Frau Kugelmann

Titel: Und da kam Frau Kugelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minka Pradelski
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führt seine Buchhaltung stets mit sich. Während langer Wartezeiten holt er Briefe und Rechnungen unter der Fußmatte hervor, Kugelschreiber, Bleistift und Spitzer aus einem Seitenfach, eingelassen in den Beifahrersitz. Als ich mich ins Auto setze, räumt er schnell auf und befestigt die wichtigsten Dokumente mit alten Gummibändern, roten Dichtungen von Einmachgläsern, auf der Innenseite der Sonnenblende.
    »Sind Sie den ganzen weiten Weg nach Petach Tikva gefahren, um ein altes Besteck abzuholen?«, fragt er.
    »Ja«, sage ich, »es ist ein Fischbesteck.«
    »Wenn Sie so gerne Fisch essen, mein Onkel hat ein kleines Fischrestaurant mit vernünftigen Preisen, ich kann Sie da hinbringen.«
    »Fahren Sie mich ins Hotel zurück«, befehle ich.
    Koby lebt in seinem Taxi, es ist sein zweiter Körper, die Räder dienen ihm zur Beschleunigung seiner Glieder, die Scheinwerfer zur Verschärfung seiner Augen, Benzinleitung und Pedale sind seine Nervenstränge. Er nährt seinen Wagen sorgsam mit Öl und Wasser, tastet kosend über kleine Unebenheiten, poliert und schmiert die Karosserie, küsst den baumelnden Talisman am Rückspiegel, bevor morgens seine erste Fuhre beginnt. Im Heck des Wagens befinden sich Rasierzeug, Sanitätskasten und ein Badetuch, in einer Plastiktüte das schwarze Käppchen für eine Fahrt zum Friedhof.
    »Wenn Sie wollen, können wir den Koffer unterwegs rausschmeißen, mit dem können Sie doch nicht mehr reisen«, schlägt er vor.
    »Es ist ein Erbstück von meiner Tante«, protestiere ich.
    »Etwas Anständiges hat sie Ihnen nicht vererbt, keinen Schmuck, kein Geld?«, fragt Koby.
    »Nein«, sage ich.
    »Dann lassen Sie die Trauer sein und kommen Sie heute Abend mit in die Disco«, sagt er und wendet sich zu mir um.
    Ich schaue mir für einen Augenblick Kobys behaarte braune Beine in den khakifarbenen Shorts an und entscheide blitzschnell, dass ich meinen zukünftigen Kindern solche krummen Beine ersparen will.
    Rhythmisch wie die Gezeiten des Meeres erhebt sich der anschwellende Berufsverkehr und überflutet die viel zu engen Straßen Tel Avivs. Wie ein Traumtänzer bewegt sich Koby durch den dichten Verkehr. Er biegt in Seitenstraßen ab, fährt mit rasender Geschwindigkeit ganz eng an den kleinen Läden vorbei, die überall ihre Waren wie Bäuche auf die Straßen hängen, fädelt sich geschickt wieder in die Hauptstraße ein. Wir fahren durch die weiße Küstenstadt mit den Sonnenkollektoren auf den flachen Dächern. Der Stadt haftet etwas Provisorisches an. Einst nach dem Frühling benannt, wurde die junge Stadt im salzigen Meereswind der flachen Sanddünen gegründet, wuchs schnell über Dörfer hinweg, fraß sich durch schilfbewachsene Sümpfe, entpuppte sich zur Überraschung ihrer Bewohner als eine erwachsene großstädtische Metropole. Eine laute tosende Großstadt, ohne Straßen- oder Untergrundbahn. Es sind die zweifarbigen staubigen Linienbusse, die dröhnend unzählige Passagiere kreuz und quer von einer Haltestelle zur anderen transportieren. Nur die mit Fikusbäumen spärlich bepflanzten Hauptstraßen zollen der heimlichen Hauptstadt die längst überfällig gewordene Achtung.
    Koby beobachtet im Rückspiegel, wie ich interessiert zum Fenster hinausschaue.
    »Was wollen Sie«, sagt er, »wir sind ein armes, junges Land, eines der jüngsten Länder der Welt. Wir dürfen Fehler machen.«
    »Sie meinen, da sollten die alten ehrwürdigen Nationen mehr Geduld mit Ihnen haben?«
    »Ja«, sagt Koby und lächelt, »ich sehe, Sie fangen allmählich an, uns zu verstehen.«
    Am Abend gehe ich mit Koby in die Disco. Mondhell ist die Nacht, als wir zum Strand hinuntergehen. Wir bauen uns ein Bett aus Sand, klopfen den warmen Sand fest, der bis in die späte Nacht noch die Hitze des Tages in sich trägt. Die Füße graben wir tief unter die körnige Sanddecke, mein bunter Rock schützt unsere Köpfe. Koby steht ein paarmal auf, um kühles Wasser vom Meer zu holen und mir mit seinem nassen Hemd wie einem fiebernden Kind den Schweiß vom erhitzten Körper abzuwaschen.
    Die Klimaanlage pumpt eisige Luft in das Taxi, als Koby mich ins Hotel zurückfährt. Ich schließe für einen Augenblick die Augen. Die hintere Sitzbank verwandelt sich in einen weißen, in Form einer Sitzbank gehauenen Eisblock, an dem meine Kleider festkleben, so dass ich mich kaum bewegen kann. Ich fahre mit dem Finger über das Eis, führe ihn, in aller Heimlichkeit kostend, zum Mund. Auf dem Schoß lauter kleine

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