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Und da kam Frau Kugelmann

Und da kam Frau Kugelmann

Titel: Und da kam Frau Kugelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minka Pradelski
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soll nur bei mir bleiben.
    »Wir waren bei Ihrem schönen Adam stehen geblieben«, ermuntere ich sie, will ihr den Weg weisen, doch sie hört mich nicht. Gedankenverloren dreht sie an ihren Zöpfen, bis ich ihre Stimme wie unter Wasser höre.

Ein Schnorrersohn als Fürstenberg-Schüler
    »Mein liebster Adam behauptete, er habe, als er noch ganz klein war, eine wunderschöne Romanze mit seiner Mutter gehabt, bei der ihn sein lästiger Vater störte. Er tröstete sich damit, dass der Vater als armer junger Mann in die Fabrik des Großvaters eingeheiratet habe und dass doch er und nicht der Vater der rechtmäßige Erbe der Fabrik sei. Leon Jungblut kannte die eifersüchtigen Gedanken seines kleinen Sohnes nicht, aber selbst wenn, dann hätte er sie sicher nicht beachtet.
    Leon Jungblut war ein hoch geachteter Mann. Ein scharf kalkulierender Fabrikdirektor, kaltblütig und hart auf seinen Vorteil bedacht, doch den Armen gegenüber ein weichherziger, mitleidiger Wohltäter. Von weitem sah man ihn schon, einen stattlichen, mittelgroßen, ganz in Tweed gekleideten Herrn, von Schnorrern umringt, die ihn auf Schritt und Tritt begleiteten, wie ein zerlumpter Hofstaat seinen vornehmen König.
    Bitterböse beschwerten sich Wassersteins bei ihm, die Schnorrer würden, seitdem er die neue Seifenfabrik in der Nähe ihres Geschäfts errichtet habe, auch vor ihrer Tür hartnäckig um Almosen betteln. Adams Vater solle dafür sorgen, dass sie endlich wieder verschwänden. Leon Jungblut rührte sich nicht. Und so war die Straße dienstags und donnerstags schwarz vor Schnorrern, und Wassersteins sprachen ein ganzes Jahr kein Wort mehr mit ihm, bis sie sich an den neuen Anblick gewöhnten.
    Die Schnorrer, sagte Leon Jungblut, seien ein Berufsstand mit Anstand, Sitte und Regeln. Man bewege sich in Gruppen, um nicht einsam und alleine schnorren zu gehen. Die Berufswege seien einmütig geklärt, kein Schnorrer komme dem anderen in die Quere. Der Wochentag ließe sich schon alleine daran erkennen, welche Bettler zum Schnorren in die Häuser kämen. Die Schnorrer heirateten unter sich, sie hatten ihre eigene Ehre, denn eine Schnorrer-Tochter oder ein Schnorrer-Sohn wäre ohnehin niemals in eine bessere Familie aufgenommen worden. Die Schnorrer-Kinder hatten bei uns keine glückliche Zukunft. Wenn sie ehrgeizig waren, mussten sie Bendzin verlassen und in Amerika oder sonst wo in der Welt ihr Glück versuchen.
    Leon Jungblut, Adams wohltätiger Vater, half, wo er nur konnte. Er kaufte den Lotterieverkäufern Lose ab, löste die Gewinne jedoch nie ein. Wovon sollte denn der Lotterieverkäufer leben, wenn er die Gewinne auszahlen musste? Kein Lotterieverkäufer in Bendzin hätte genügend Geld gehabt, neue Preise zu erwerben und gleichzeitig seine Familie zu ernähren. Leon Jungblut steckte den armen Familienvätern vor den Feiertagen Geld zu, damit sie an einem gedeckten Tisch sitzen konnten, schob es einfach unauffällig in ihre Tasche. Wie viele Arme gab es bei uns! Die meisten Religiösen hatten acht bis zehn Kinder und nur ein paar Groschen Verdienst. Wie viele Schuster und Schneider konnten in unserer kleinen Stadt schon Arbeit und Brot finden? Adams Familie bewirtete selbst jeden Tag arme, religiöse Gelehrte, bis es Adams Mutter allmählich zu viel wurde und sie ihnen Geld gab, sich woanders zu verköstigen. Solange aber die Gelehrten im Haus waren, wurde Adam an der Tür eine Kopfbedeckung überreicht, damit er die Strenggläubigen in ihren Gefühlen nicht kränkte.
    Einmal begleitete Adam den Vater in die neue Fabrik. Kaum war der Vater in seinem Arbeitszimmer, da erschien auch schon mit sicherem Schritt die erste Bettlerin, Malka Feiga, eine Frau in mittleren Jahren mit hervorquellenden Augen und wulstigen Lippen, ein hageres, längliches Gesicht, die Haare verklebt und verdreckt, der kräftige Körper in stinkende, zerrissene Lumpen gehüllt, die Füße mit Lappen umwickelt. Sie begrüßte ihn mit dem knappen Satz: ›Git Morgen, vier‹. Leon Jungblut holte wortlos einen vierfachen Betrag Münzen aus einer verschlossenen Schublade und übergab ihn ihr. Mit einem knappen Dankeschön auf den Lippen verließ sie geschwind das Zimmer. Adam erklärte er, das eben sei eine Anführerin von drei weiteren Bettlerinnen gewesen, die draußen vor der Tür auf Almosen warteten. Um seine Zeit nicht unnötig zu strapazieren, begrüße ihn Malka Feiga sofort mit der Zahl ihrer bettelnden Kolleginnen. Und wenn sie die Tür hinter sich schließe,

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