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Und da kam Frau Kugelmann

Und da kam Frau Kugelmann

Titel: Und da kam Frau Kugelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minka Pradelski
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hochschwanger mit dem dritten Kind und konnte nicht gut reisen. Aus all diesen Gründen hatte Mosche nur den kleinen Koffer dabei. Ein guter Anzug war drin, ein frischer Kragen und schwarze Socken, der Talles und die Tfillim, ein silberner Becher als Geschenk für den Neugeborenen und natürlich Reiseproviant, weil er von weit her, von Nowy Sacz aus Galizien angereist kam. Das Köfferchen war wirklich nicht schwer, man hätte es gut an zwei Fingern durch den Bahnhof balancieren können, der Dreiblatt wollte es selbst in der Hand tragen, wie man das in Galizien so macht. Kaum aber hatte er den Zug verlassen, um seinen Onkel Pinkas, Mieteks Großvater, zu begrüßen, der am Bahnsteig auf ihn wartete, sah er sich plötzlich von zwei Trägern umringt. Sie nahmen ihm ohne Begrüßung das kleine Köfferchen ab. Nicht aus Freundlichkeit, um etwa dem Zugereisten das Koffertragen zu erleichtern, sondern wegen des von Bachmanns für Bachmanns geschaffenen Rechts, das auch am Bahnhof galt und das besagte, dass in Bendzin Lasten und dergleichen, also auch ein Koffer, und sei er noch so klein, oder etwa nur die Andeutung eines Koffers, entscheidend war beim Koffer der Henkel, bei der Ankunft in Bendzin in die Hand des Trägers gehörten. Erst nach der Entlohnung des Trägers – denn wovon sollte der Träger sonst leben – konnte der Reisende ruhig mit seinem Koffer weitergehen. Aber auch dieses Recht, genauso wie das Recht von den studierten Köpfen, hatte seine Grenzen, und es wäre keinem Bachmann eingefallen, etwa den Koffer bis zur Unterkunft des Reisenden zu tragen und dafür eine größere Summe Geld zu verlangen, es sei denn, der Reisende beauftragte ihn. Mosche Dreiblatt aber wollte den Koffer nicht aus der Hand geben, er riss den Koffer wieder an sich. Da hielten die Träger den jungen Dreiblatt fest, und der große Hut, den der Dreiblatt aufhatte, weil man in Galizien das Käppchen unter dem großen schwarzen Hut trug, der galizianische Hut fiel schon zu Boden, von den Trägern leicht berührt. Die Träger gaben dem Onkel mit einem deutlichen Blick zu verstehen, dass der Mosche Dreiblatt, wenn er die Ordnung hier in Bendzin nicht schnell verstünde, wohl eher für eine andere Feier fällig sei als für einen Bris. Onkel Pinkas beeilte sich, dem Neffen zu sagen: ›Mosche, gib ihnen den Koffer, ich zahle die paar Groschen, komm, lass uns weitergehen.‹ Mosche gehorchte, gab den Trägern den Koffer, denn er respektierte seinen Onkel. Und so gingen die beiden Träger, begleitet von Mosche und seinem Onkel, mit schnellem Schritt durch die Bahnhofshalle, das kleine Köfferchen baumelte in ihrer Mitte. In den Händen des Trägers war es nur noch ein Fliegengewicht. So leicht erschien es plötzlich, dass man annehmen konnte, das Köfferchen trüge sich von selber und ginge ganz einfach mit den Männern mit.«
    Ich bin von ihren Worten gebannt, starre Frau Kugelmann fasziniert an.
    »Wie hießen die Lastenträger in Kalisz?«
    »Hören Sie mir endlich auf mit Ihrem Kalisz.«
    »Wurden die Lastenträger in anderen Städten auch Bachmann genannt?«
    »Stellen Sie keine so dummen Fragen. Bachmanns gab es selbstverständlich nur in Bendzin«, sagt sie laut. Dann fährt sie leiser mit einer verächtlichen Handbewegung fort, »ich glaube, man nannte sie Luftmenschen, mehr kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen.«
    Luftmenschen! Wie oft habe ich am Freitagabend die Gäste der Eltern über Luftmenschen sprechen hören! Mucksmäuschenstill saß ich da und hörte zu, obwohl ich nur ein Bruchteil der Worte verstand. Das also waren die Bachmanns von Kalisz! Es ist, als ob ich mit Frau Kugelmann als Verstärkung im Rücken in mein Elternhaus stürmte, die Türen aufrisse, um wenigstens ein oder zwei der vielen Rätsel zu lüften, die mich wie eine unsichtbare Mauer von den Erwachsenen abtrennen.
    Frau Kugelmann steht auf, will nach ihren Sandalen greifen, doch ich komme ihr zuvor. Mit ihren Schuhen in der Hand bitte ich sie zu bleiben. Sie sieht mich verblüfft an, setzt sich wieder.
    »Was ist denn in Sie gefahren!«, sagt sie amüsiert, »Sie benehmen sich ja fast wie ein Bachmann. Das hat mir gerade noch gefehlt!«
    »Frau Kugelmann, ich lasse Sie nicht fort!«
    »Mäßigen Sie sich. Kommen Sie schon, stellen Sie die Schuhe ruhig wieder hin, ich laufe Ihnen nicht weg«, sagt sie, während sie vorsorglich in ihre Sandalen schlüpft, als müsse sie einen erneuten Angriff von mir abwehren. Ihr Blick fällt auf die leere

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