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Und da kam Frau Kugelmann

Und da kam Frau Kugelmann

Titel: Und da kam Frau Kugelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minka Pradelski
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studieren. Denn in Polen gab es keinen Studienplatz für ihn. Die Anzahl der Studienplätze in den geisteswissenschaftlichen Fächern war für jüdische Studenten an den Fingern abzuzählen, und sogar in den Naturwissenschaften besetzte man die begehrten Laborplätze vor ihrer Nase mit christlichen Studenten. Meine älteren Brüder haben abgetrennt von den polnischen Studenten auf der rechten Seite gesessen, ein entfernter Vetter von Adam hat sogar stehend sein Jurastudium absolviert.
    Gonnas tatkräftige Mutter Bluma bestärkte ihn darin, nach Palästina auszureisen, er solle studieren, um eine bessere Zukunft zu haben. Aber sie nahm ihm das Versprechen ab, dass, wenn er schon ohne ihre Aufsicht studiere, er ein Ingenieur werden müsse, denn das junge Land brauche Maschinen, Straßen und Brücken, aber keine Leute, die wie ihr Sohn in der Gegend herumphilosophierten und Freiheitsbegriffe definierten. Wohnen solle er bei seiner älteren Schwester Halina, damit sie ein Auge auf ihn habe. Und der schlaue Gonna versprach der Mutter alles, um Bendzin auf schnellstem Wege verlassen zu können.
    Auch Kotek träumte von Palästina. Er freilich sehnte sich nicht nach Bildung, er wollte möglichst weit fort von seinen Eltern sein, um den ganzen Tag Karten zu spielen und abends die Sterne anzuschauen. In seinem Traum glich Palästina einem Garten Eden, einem Paradies, in dem man sich ohne Arbeit versorgen konnte. Die Kühe molken sich dort selbst, die Wolle rollte sich von alleine auf, und auf den Feldern reiften, ineinander verschlungen, glänzendes Gemüse, goldene Ähren, wilde Kräuter und Beeren über das Jahr hinweg. Alles gab es im Überfluss, und das Pflücken war eine reine Lust.
    Jedenfalls schien es Kotek ganz furchtbar ernst mit der Auswanderung. Er sprach von nichts anderem. Allerdings log er den Eltern vor, er wolle ein Medizinstudium beginnen. Die Eltern wollten ihm die Reise ausreden. Die Mutter fand, der Achtzehnjährige sei noch viel zu kindlich, um im unwirtlichen Palästina zu studieren. Sein Vater wollte ihm sogar eine eigene Textilfabrik einrichten, mit einem großen Direktoriumszimmer und vielen neuen Strickmaschinen. Aber Kotek ließ sich nicht überzeugen. Als sein Vater ihm das Geld für den Antrag verweigerte, holte sich Kotek den Betrag vom Apotheker Gablonski, der dem Vater für die Renovierung der Apotheke eine erhebliche Summe schuldete. Kotek legte den Eltern wortlos das eingetriebene Geld auf den Tisch. Da sahen sie ein, wie bitterernst es ihrem Sohn war, und haben nichts mehr gegen seine Abreise unternommen.
    Gonna und Kotek haben zur selben Zeit den Antrag gestellt, nach Palästina auszuwandern. Jeder in seines. Die Auswanderungsbehörde nahm an, dass es sich um dasselbe Land handelte, und schickte den beiden die gleichen Formulare. Der letzte Termin zur Einschreibung an der Universität in Palästina war der 15. April 1939. Zuvor wurden die Anträge in Warschau von der Einwanderungsbehörde geprüft. Und diese verlangte den Nachweis eines erfolgreich bestandenen Abiturs. Kotek hatte aber zu diesem Zeitpunkt noch kein Abiturzeugnis, und wie sollte er ein Zeugnis beschaffen, das es noch gar nicht gab. So hat er sich eben zum Herbsttermin zur Auswanderung angemeldet und schickte die Unterlagen im Juli mit dem Abiturzeugnis nach Warschau.
    Gonna war der Klügere. Er schickte noch im April seine Unterlagen an die Kommission, alles sorgfältig und penibel ausgefüllt, lediglich das Abiturzeugnis fehlte. Drei Monate später haben sie das Zeugnis angemahnt, da hatte er das Abitur bereits bestanden und schickte ihnen das Zeugnis nach. Sie haben den Betrug nicht bemerkt, und er, der Glückliche, ist am 20. August 1939, elf Tage vor dem Einmarsch, nach Palästina ausgewandert und rettete, ohne es zu wissen, sein Leben.«
    »Aber vielleicht hätten sich außer Gonna noch ein oder zwei Schüler mit diesem Trick nach Palästina retten können«, sage ich stockend.
    »Schon möglich. Aber wer weiß das schon.«
    »Warum hat Gonna seinen Trick für sich behalten, obwohl er wusste, dass Kotek unbedingt ausreisen wollte?«, frage ich.
    »Gonna war anders als wir, er war klüger und reifer. Während wir noch kindisch waren, handelte er erstaunlich überlegt. Er wusste, dass die Auswanderungsbehörde stutzig würde, wenn sie in einem Jahr plötzlich mehrere Anträge ohne Abiturzeugnis erhielt, und er wollte seine Auswanderung nicht gefährden. Darum schwieg er uns gegenüber.«
    »Haben Sie Gonna hier in

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