Und da kam Frau Kugelmann
Wasserflasche. Ich reiße den Kühlschrank auf und stelle eine Batterie von eisgekühlten kleinen Mineralwasserfläschchen vor sie hin. Öffne sie und biete ihr ein übervolles Glas an.
»Trinken Sie, ärgern Sie sich nicht über die Preise. Es ist ein Geschenk von mir. Nehmen Sie es an«, sage ich eindringlich.
Frau Kugelmann nimmt einen Schluck und blickt mir unverwandt in die Augen, bis ihr Blick trüb wird, und ich spüre, dass sie nicht mehr bei mir ist.
Der schlaue Gonna
»Als die Polin mit dem Janek ging, benahm sich der kluge Gonna genauso ungehobelt wie ein Bachmann, obwohl er die Bachmanns aus tiefstem Herzen verachtete. Er mied ihre Nähe. Für ihn waren sie primitive Kerle, denn er hatte als Kind einmal einen so festen Tritt von einem Bachmann in den Bauch bekommen, dass er noch monatelang seine verstauchten Rippen spürte, und nur weil er ihm beim Abladen eines Kohlensacks im Weg stand. Jedenfalls spuckte er im hohen Bogen vor der Polin aus, so eifersüchtig war er auf sie. Schlau war das nicht, es passte auch gar nicht zu ihm, denn die Polin spuckte mehrmals zurück und sprach bis zum Ende des Schuljahres kein Wort mehr mit ihm.
Simon hieß bei uns Gonna. Einen Spitznamen hätte er in jedem Fall bekommen, denn sein Geburtsname war viel zu langweilig für ihn. Die Kameraden wollten ihn zu seinem Verdruss Spinoza nennen, denn der schlaue Gonna versteckte seinen scharfen Verstand vor uns. Er ließ sich seine große Begabung nicht anmerken, er schämte sich ihrer, als sei sie ein Makel, eine Schande, ein Pferdefuß. Er hatte Sorge aufzufallen, er fürchtete, wir würden ihn für einen überheblichen Besserwisser halten und uns angewidert von ihm abwenden. Es gab Tage, da wünschte er sich, alle Schüler wären so begabt wie er, und wieder an anderen Tagen, da wollte er genauso schlicht sein wie wir. Dann geriet er in Wut über die Unfehlbarkeit seines Gedächtnisses, das ohne sein Zutun alles Gehörte und Gesehene wie in einem reich ausgestatteten Museum archivierte, er stellte sich Fallen, um sich bei einem Fehler zu ertappen, allein, es glückte ihm nie.
Als Simon eines Tages verspätet zum Unterricht kam, rief ich aus heiterem Himmel ›Gonna!‹. Das Wort Gonna hatte gar keine Bedeutung, es rutschte mir einfach nur so aus dem Mund. Vielleicht wollte ich etwas ganz anderes sagen, aber da war es schon geschehen, und Simon wurde von diesem Tag an von uns ohne Erbarmen nur noch Gonna gerufen.
Der schlaue Gonna war unser schnellster Leser. Stets hatte er ein Buch zur Hand, er las im Stehen, im Liegen, beim Spazierengehen. Dreimal die Woche ging er zum Rabinowicz in den Kolonialwarenladen, um sich Bücher auszuleihen. Die Leihbibliothek des Herrn Rabinowicz wurde von der Schulleitung nicht gerne gesehen, wir sollten unsere Bücher aus der Schulbibliothek beziehen, aber wir wollten uns nicht bevormunden lassen und lieber heimlich beim Rabinowicz ein paar Zloty Gebühr bezahlen. Der Rabinowicz war ein grauhaariger älterer Mann, zittrig, wortkarg, sparsam. Von Rabinowiczs Kolonialwarenladen führten zwei Treppen zu einem kleinen, schmuddeligen Hinterzimmer. Das war, als stieße man ein Tor auf zur Welt der Bücher. Dort standen auf sorgsam abgestaubten Regalen eng beieinander, nummeriert und katalogisiert, Rabinowiczs Säulen der Weltliteratur. Die Bücher waren sein ganzer Stolz, ungeduldig erwartete er ihre Rückgabe, lachte vor Freude, wenn sie wieder in seinem Regal standen. Einige von uns, darunter Gonna, hatten sich bereits durch die gesamten Bestände gelesen und konnten es kaum erwarten, bis endlich ein neues Werk aus Warschau kam. Um unsere Spannung zu erhöhen, hat der Rabinowicz das jungfräuliche Buch, wenn es ankam, umständlich ausgepackt, in seine frisch gewaschenen, zittrigen kleinen Hände genommen und laut seufzend vor unseren Augen die Seiten genießerisch umgeblättert. Aber statt es nach der erquicklichen Lektüre an uns Verdurstende weiterzureichen, legte er es für einen ganzen Monat in sein Schaufenster. Dort thronte es sanft gepolstert auf einer weichen, rot gesteppten Seidendecke, erhöht auf einem kleinen Podest wie ein kostbares seltenes Schmuckstück. Für das neue Buch gab es endlos lange exakt geführte Vormerkerlisten, die der Rabinowicz in seiner winzigen zittrigen Schrift mit einer einzigen Ausnahme peinlichst genau einhielt: Gonna als schnellster Leser bekam das begehrte Buch zuerst.
Gonna wollte Bendzin nach dem Abitur verlassen, um in Palästina Philosophie zu
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