Und da kam Frau Kugelmann
versteckt. Heute will ich nicht an Gonna denken. Ich will lieber von meinen neu hinzugewonnenen Verwandten hören. Ich wage einen zweiten Vorstoß:
»Ich habe heute schwarz gekleidete Chassiden mit dem Handy in der Hand zum Strand schlendern sehen«, sage ich vorsichtig.
»Das ist für uns kein ungewöhnlicher Anblick«, antwortet sie rasch. »Manche drehen sogar im Park ihre Runden, im schwarzen Gehrock mit Turnschuhen an den Füßen. Die Krankheiten sparen die Frommen nicht aus, auch sie müssen auf ihre Gesundheit achten«, Frau Kugelmann lacht.
»Hätten Rywka Scheina und Mirele sich damals in Polen träumen lassen, dass sie eines Tages im heiligen Land im Meer baden?«
»Sie wären ganz und gar nicht überrascht gewesen«, antwortet sie milde lächelnd.
»Weshalb nicht?«
»Weil es bei den Chassiden schon immer Wunder gab«, sagt sie spöttisch.
»Machen Sie keine Witze!«
»Nein, man hat an Wunder geglaubt.«
»Was für ein Wunder?«
O Wunder
»An ein richtiges Wunder eben. Wenn man genau hinschaut, dann hat es da, wo Mirele und ihre chassidische Familie wohnten, fast jeden Tag ein Wunder gegeben. Und wo es Wunder gab, da gab es auch Streit unter den Chassiden, weil die einen nicht immer an die Wunder der anderen geglaubt haben. Und so gab es bei uns die Alexander-Chassiden, die Anhänger des Alexander Wunderrabbis, und die Anhänger des Gerer Wunderrebben, dann die Sochaczewer Chassiden, die Radomsker, die Pinczower und vielleicht noch viel mehr, als ich nennen könnte.
Die Krimilower glaubten, dass sie mit ihrem Rebben näher an der höchsten Wahrheit seien, und die Radomsker hielten sich für noch frömmer und gelehrter, und vielleicht waren die Gerer und die Radomsker sich einig, dass die Pinczower von allen die am wenigsten gelehrten Köpfe sind. Die Alexander aber verehrten ihren Rabbi, weil sie wussten, dass er alle anderen Rabbis an Weisheit übertraf.
Welwel, Mireles Großvater, war ein bescheidener chassidischer Mann. Aus lauter Bescheidenheit setzte er den kleidsamen, kostbaren Pelzhut nur selten auf. Den weichen dunklen Bart, den seidig fließenden schwarzen Kaftan trug Welwel auf seine leise, stille Art. Die Schläfenlocken steckte er sich nach dem Aufstehen, frühmorgens schon, um nicht aufzufallen, hinter die Ohren. Kaum den Boden berührend, bewegte er sich mit kleinen Schritten durch die Gassen. Bei Simches, Feierlichkeiten, war er freilich ein gern gesehener Gast. Da geriet Welwel außer sich, legte seine Bescheidenheit ab, sang und tanzte im Männerkreis, mit den Füßen aufstampfend, verzückt, wild, ausgelassen.
Als Welwel noch noch in jüngeren Jahren war, ist er einmal zum Wunderrabbi gefahren, um ihn wegen der Gründung eines Geschäfts um Rat zu fragen, wie das so üblich war. In Zgierz, wo der Alexander Rabbi wohnte, reihte er sich in die lange Schlange von Frommen ein, die auf den Rat des Rebben warteten. Einmal trat er aus der Reihe heraus, halb tänzelnd, fast wie im Scherz, und stellte sich wieder ganz hinten an, weil er so schrecklich aufgeregt war. Er wollte noch einmal gründlich seine Fragen an den Rebben überdenken. Nach anderthalb Tagen Wartezeit war es so weit. Er trat bescheiden vor den Rebben und bat ihn um seinen Segen für eine Bonbonfabrik, die er in Wolbrom, wo er wohnte, zu bauen gedenke. Er wolle die kleine Fabrik am Jahrmarkt errichten, wo sich die Kinder vergnügten. Er habe bei seinem Schwager gelernt, wie man Zuckerstückchen einer ganz besonderen Mischung in Bonbonmasse verwandelt. Sobald das Geschäft sich lohne, wolle er ein oder zwei Männer als Gehilfen einstellen, um die Fabrik zu vergrößern.
Aber der Alexander Rebbe riet ihm von der Fabrik in Wolbrom ab. Stattdessen schlug er ihm vor, zehn Kilometer weiter an einem winzigen Ort, in dem nur ein paar Häuser standen, die Fabrik zu errichten. Welwel sah den Rebben voller Erstaunen an und fragte, wer in dem winzigen Ort die Bonbons kaufen solle, aber der Rebbe blieb unerschütterlich und gab ihm für Wolbrom keinen Segen.
Welwel überlegte hin und her, während er mit seinem wiegenden Gang den langen Weg nach Hause antrat: Eine Fabrik in Wolbrom wollte er nicht entgegen dem Rat des Rebben bauen, und eine Fabrik ein paar Kilometer weiter, an dem kleinen Ort mit einer einzigen Straße, dort zu bauen traute er sich nicht. So betrieb Welwel zunächst einen Handel mit Kurzwaren und Strümpfen, von dem es sich ganz gut leben ließ. Ein Jahr später, als Welwels Zwillingssöhne Pinje und Mendel
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