... und dann bist du tot
nie zuvor gehört. Lally spürte, dass es vielleicht eine willkommene Ablenkung für das Mädchen war.
»Dann zähl noch einmal die Dinge auf, die du brauchst, ehe du deine Schuhe anziehst.«
»Chirurgische Bänder, die um jeden Zeh gewickelt werden«, sagte Katy mit leiser, aber eifriger Stimme. »Lammwolle - reiner Alkohol, der in die Schuhe gegossen wird, wenn sie neu sind ...«
»Tatsächlich?« Chris Weber hob die Augenbrauen.
»Damit man sie besser einlaufen kann«, erklärte Katy. »Miss Duval sagt, es helfe, die Schuhe den Füßen anzupassen.«
Chris’ Anspannung war für Lally unerträglich. Es war Zeit, mit dem Theater aufzuhören. »Katy«, sagte sie, »könnte ich bitte ein Glas Wasser haben?«
Katy stand auf. »Möchten Sie Saft trinken? Wir haben Orangen- und Apfelsaft.«
»Lieber Wasser. Danke.«
Katy verließ den Raum. Der Hund stand von seinem Platz an Chris’ Seite auf, trottete zum Kamin, ließ sich wieder nieder und legte den Kopf auf die Vorderpfoten.
»Gehe ich recht in der Annahme«, fragte Chris ganz ruhig, wobei er Lally intensiv anschaute, »dass dein Besuch heute überhaupt nichts mit den Ballettschuhen zu tun hat?«
Lally schoss das Blut ins Gesicht. »Bin ich so schnell zu durchschauen?«
»Für Katy vielleicht nicht.«
Sie nickte. »Ich bin wegen Katy hier. Ich mache mir Sorgen um sie.«
Die Tür sprang auf. Andrea Webber stakste in den Raum.
»Du Dreckskerl«, rief sie.
Die Hunde auf dem Hof fingen wieder an zu bellen, diesmal lauter als zuvor.
»Du hundsgemeiner Dreckskerl! Mich derartig zu hintergehen.«
Lally war auf ihrem Platz zu Eis erstarrt. Andrea hatte sie noch nicht einmal angesehen. Ihre Füße waren nackt und schmutzig, und Lally vermutete, dass sie trotz der eisigen Kälte und der Dunkelheit sicher auf dem Hof gewesen war. Mrs. Webber trug alte, zerrissene Jeans und einen langen, ausgebeulten, roten Pullover, und ihr Haar, das immer so tadellos aussah, wenn sie Katy vom Unterricht abholte, war ungekämmt. Außer verschmierter Wimperntusche hatte sie kein Make-up aufgelegt, und ihre dunklen Augen, die wie Katys vom Weinen ganz rot waren, spiegelten ihre Wut.
Lally wünschte sich, unsichtbar oder tot zu sein. Sie konnte den Alkohol durch den ganzen Raum riechen -Whisky und Bier. Andrea Webber war betrunken. Nicht ein bisschen, sondern vollkommen betrunken, stinkbesoffen.
»Andrea«, sagte Chris ruhig. »Wir haben Besuch.« Er war ganz blass geworden und stand von der Couch auf. »Miss Duval ist gekommen, um mit Katy über ihre Schuhe zu sprechen.«
»Das ist ja schön für Katy«, sagte seine Frau lallend.
»Es ist wohl besser, wenn ich gehe«, murmelte Lally verlegen.
»Meinetwegen brauchen Sie nicht zu gehen«, stammelte Andrea, die noch immer an ihr vorbeisah.
»Warum setzt du dich nicht hin?«, fragte Chris.
»Warum fährst du nicht zur Hölle?«
»Andrea, bitte.« Chris ging auf seine Frau zu. Er streckte seine rechte Hand aus, als wollte er ihren Arm berühren, doch sie schlug wild um sich und traf ihn auf der Brust.
»Scheißkerl«, knurrte sie.
»Andrea, um Himmels willen ...«
»Und das Schlimmste ist, dass du so ein scheinheiliger Scheißkerl bist.« Sie drehte sich um, schwankte ein wenig und stieß gegen den Holzschrank. Die Ziergegenstände und die gerahmten Fotos erbebten. »Früher hast du wenigstens mal einen Schluck mit mir getrunken, anstatt mich ständig zu kritisieren.«
»Niemand kritisiert dich«, sagte Chris, der äußerlich gefasst wirkte. »Warum beruhigst du dich nicht einfach, so-dass Lally ...«
»Ach so, ihr seid schon per du.« Andrea drehte sich um. »Ich nenne sie Miss Perfekt.« Nun schaute sie Lally zum ersten Mal an. »Wissen Sie das?«
»Andrea, hör auf!«, herrschte Chris sie an.
»Wahrscheinlich wissen Sie, dass meine Tochter glaubt, die Sonne strahle aus Ihrem sauberen kleinen Hintern, Miss Duval?«
Lally wusste nicht, was sie sagen oder tun sollte. Warum in Gottes Namen hatte sie nicht auf Hugo gehört? Warum hatte sie sich dieser Situation ausgesetzt? Warum hatte sie geglaubt, sie könne irgendwie helfen?
»Vielleicht solltest du besser gehen«, sagte Chris zu Lally. »Es tut mir Leid.« »Ist schon in Ordnung.« Sie stand auf und stopfte ihre Schuhe wieder in die Tasche. »Ich hätte nicht einfach hier hereinplatzen dürfen.«
»Nein, das hätten Sie nicht tun sollen«, sagte Andrea gehässig.
»Nun reicht es aber, Andrea.« Langsam, aber sicher wurde Chris wütend.
»Findest du? Bringe ich den
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