... und dann bist du tot
sodass sie ihn hätte beobachten können, um zu sehen, wie er reagieren und was er sagen würde. Wie gern hätte sie weit weg von seinen Sorgen ein wenig Zeit mit ihm verbracht und etwas über den Mann, das Individuum, erfahren. Lally wusste, dass sie nahe davor stand, sich in Tagträumen zu verlieren, aber das wollte sie nicht zulassen. Sie benahm sich wie ein Schulmädchen, und sie wusste, dass das aufhören musste.
Du kennst ihn doch gar nicht, sagte sie sich zum hundertsten Mal. Und er ist nicht hier, und er kann mit dir weder hier noch irgendwo anders sein, und es gibt keinen Grund, sich etwas zu wünschen, was nicht sein kann.
Sie tat es dennoch.
23. Kapitel
Samstag, 23. Januar
A lice Benton Douglas war in Orlando, Florida, beim Friseur und ließ sich nach zwanzig Jahren zum ersten Mal wieder eine Dauerwelle machen. Zum letzten Mal hatte sie sich am Tag vor ihrem dreißigsten Hochzeitstag eine Dauerwelle gegönnt, weil sie gehofft hatte, dass eine kleine Veränderung ihrem Fest etwas Würze verleihen würde, aber ihr gekräuseltes, kaputtes Haar war eine Katastrophe gewesen. Und Martin hatte sich strikt geweigert, sich mit ihr in der Öffentlichkeit zu zeigen, und zu ihr gesagt, sie sähe aus wie ein alter Scheuerlappen.
Heute war alles anders. Erstens war Martin schon seit drei Jahren tot, und obwohl Alice ihn oft vermisste und sich gewünscht hätte, abends ein wenig Gesellschaft zu haben, würde sie zumindest kein Mann verspotten, wenn wieder alles schief ging. Zweitens war Melvyns Salon ein Topfriseür und schrecklich teuer, und Alice hatte noch keinen einzigen Scheuerlappen gesehen, der den Salon verlassen hatte. Alle waren gepflegt und elegant, und auch Alice fühlte sich schon nach der ersten Haarwäsche wie verwandelt.
Heutzutage war natürlich alles anders durch Walt Disney und EPCOT und das ganze Zeug. Und dann gab es die Baustellen, so viele Neubauten, all diese schönen Häuser und all diese Fremden, die durch das Gebiet strömten. Die meisten ihrer Freunde, ihre Zeitgenossen, beklagten sich, dass die Landschaft zerstört und zugebaut wurde, aber Alice liebte
die Gegend. Die neuen Häuser waren wunderschön, dachte sie, wie Filmschauplätze und so luxuriös, und sie hatten Leben, Jugend und Reichtum hierher gebracht. Und es gab Einkaufszentren und saubere kleine Kaufhäuser, und es war so einfach, in der Nähe von Geschäften wie Melvyns Salon zu parken, Geschäften, die in der alten Zeit unerreichbar gewesen wären.
Für Alice hatte sich nun alles verändert. Seit ihrer Operation war alles anders. Operation. So ein großes Wort für einen so kleinen Eingriff, wie sie es im Krankenhaus genannt hatten, doch Alice hatte ihnen im ersten Moment nicht geglaubt. Wie konnte denn eine Operation, bei der ein Loch in ihren Brustkorb geschnitten wurde, als einfacher Eingriff bezeichnet werden? Als sich das Entsetzen gelegt hatte und sie nicht nur begriffen hatte, dass sie noch da war und noch lebte, sondern dass sie sich bereits jetzt tausendmal besser fühlte, hatte sie jedoch zugegeben, dass die Ärzte Recht gehabt hatten.
Wie verwandelt , dachte sie, als sie sich bequem zurücklehnte, während ein schneeweißes Handtuch wie ein Turban um ihr Haar gewickelt wurde. Die neue Alice Douglas. Das Haar würde nur ein kleiner, kaum bedeutender Teil dieses Prozesses sein wie auch das neue Kleid, das sie sich heute Nachmittag - oder wenn sie zu müde war - morgen früh kaufen wollte. Aber ich werde nicht müde sein, dachte sie zufrieden. Das ist der springende Punkt. Ich werde nie mehr so hundemüde sein, ohne einen verdammt guten Grund zu haben.
Der junge Mann, der Alice das Haar gewaschen hatte, stellte den Stuhl in die richtige Position, sodass sie wieder aufrecht saß, und half ihr auf. Alice dachte einen Moment daran, seine Hilfe zurückzuweisen, aber sie war in einer Zeit aufgewachsen, da noch alles verhältnismäßig ritterlich zuging, und sie wusste, dass es unhöflich war, jede Art von Freundlichkeit zu verschmähen.
Als es geschah, schaute sie in den Spiegel. Sie saß auf dem Stuhl, einem wirklich komischen, ganz unangenehmen Stuhl, der mithilfe eines Pedals hochgepumpt wurde, bis man die richtige Höhe erreicht hatte. Der Stuhl gefiel ihr nicht, weil er sie einfach zu sehr an den Zahnarzt erinnerte. Sie hörte der jungen Frau zu, die ihr die Dauerwelle machen wollte und ihr alles erklärte. Scheinbar lief man heutzutage nicht mehr Gefahr, krauses oder auch nur lockiges Haar zu bekommen, wenn
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