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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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trägt. Dann lasse ich los.
    Gleißendes Sonnenlicht fällt auf mein Kopfkissen, als ich aufwache. Ich habe die ganze Nacht traumlos durchgeschlafen. Die Müdigkeit der letzten Tage, die meinen Körper wie den Eisenpanzer eines Ritters umschlossen und schwerfällig gemacht hat und meine Gedanken dumpf und träge, ist wie weggeblasen. Ich fühle mich frisch und ausgeruht. Allerdings ist das Erste, was mir durch den Kopf geht, dass heute der 24. Dezember ist, Heiligabend. Der Tag, an dem Rafaels Zeit abläuft und – wenn Rafael Recht hat – meine letzte Chance, mit Finn ins Reine zu kommen. Sofort bekomme ich wieder schlechte Laune. Ich vergrabe den Kopf unter meinem Kissen und stöhne. Bei solchen Aussichten würde ich am liebsten nicht aufstehen.
    Erst nachdem ich unter der Bettwäsche hervorkrieche und die Augen ein zweites Mal aufschlage, bemerke ich, dass ich mich in Finns Schlafzimmer befinde, in seinem Bett. Irritiert fährt meine Hand wie früher über die Holzmaserung des Bettgestells, das er selber gezimmert hat. Ein vertrautes, fast unheimliches Gefühl. In meinem Kopf geistern auf einmal Dinge herum, an die ich seit langem nicht mehr gedacht habe – Dinge, die Finn und ich in diesem Bett zusammen getan haben, und mein Körper reagiert wie von selbst. Ich habe eine Latte.
    Krampfhaft versuche ich, mich daran zu erinnern, wie ich hierher gekommen bin, aber mein Gedächtnis lässt mich im Stich. Jemand hat mich bis auf meine Boxershorts ausgezogen, meine Sachen hängen über einem Stuhl vor dem Fenster. Instinktiv blicke ich auf den Platz neben mir, aber Finns Bettdecke ist unberührt, sauber zusammengefaltet liegt sie am Fußende der Matratze.
    Plötzlich muss ich an den ersten Traum denken, den ich gehabt habe, nachdem Rafael in meinem Leben aufgetaucht ist, und meine Finger reißen hastig Finns Nachttischublade auf, wühlen Bilder, Zettel und Adressbüchlein durcheinander, auf der Suche nach leeren Tablettenschachteln. Aber ich finde nichts und atme erleichtert auf. Die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, Fantasie und Realität, dem Möglichen und dem Unmöglichen sind in den letzten Tagen für meinen Geschmack ein wenig zu sehr ineinander verschwommen. Es wird Zeit, dass wieder Ordnung in mein Leben einkehrt.
    Ich schwinge meine Beine aus dem Bett, öffne vorsichtig die Schlafzimmertür und trete auf den Flur. Angestrengt lausche ich nach unten, aber das Haus ist merkwürdig still, wie ausgestorben. Kein Kindergeschrei, kein Hundegebell dringt an meine Ohren, nirgendwo höre ich die Schritte meiner Mutter, das Lachen meiner Schwester oder wenigstens das Rauschen eines Wasserhahns. Nur aus der Küche kommt das leise Klappern von Geschirr. Ein Radio dudelt Weihnachtslieder. Langsam gehe ich die Treppe hinunter, den Geräuschen entgegen. Die Holzdielen knarren unter meinen Füßen. Lange bevor ich unten ankomme, weiß ich, dass ich mit Finn allein im Haus bin.
    „Morgen“, sagt Finn einsilbig. Seine Hände stecken im Spülwasser. Er vermeidet den Blickkontakt und reibt mit einem Schwamm so heftig über einen Teller, dass die Emailleverzierungen jeden Moment abspringen werden. Die Luft in der Küche steht plötzlich unter Hochspannung, ich habe das Gefühl, dass er mir am liebsten an die Kehle gehen würde.
    Aber ich kann dieses Spiel genauso gut spielen wie er. Nur mein Räuspern verrät meine Unsicherheit. „Wo sind die anderen?“ frage ich. Seine Begrüßung erwidere ich nicht.
    „Deine Mutter und deine Schwester sind einkaufen gefahren. Seit wann hast du übrigens einen Hund? Noch dazu ein solches Monstrum?“
    „Adolf ist kein Monstrum, er ist eine Deutsche Dogge“, sage ich feindselig. Es ist das erste Mal, dass ich den Hund verteidige, aber es steht Finn nicht zu, sich über ihn lustig zu machen. Die Dogge gehört jetzt zu mir. Finn nicht. Dass ich sauer auf Adolf bin, weil er den Hamster gefressen hat, lasse ich lieber unerwähnt.
    „Die Kinder und dieser … Rafael bauen einen Schneemann.“ Das Zögern in Finns Stimme erinnert mich daran, dass er Rafael in Wirklichkeit noch nie begegnet ist, sondern nur in meinen Träumen. „Er ist ein Hochstapler, oder?“ fragt Finn. „Das ist doch irgendein Trick mit den Flügeln? Ich meine … ein Engel?“ Er ist ebenso skeptisch wie ich am Anfang, aber auch genauso neugierig.
    Ich zucke abweisend mit den Schultern. „Gibt’s Kaffee?“ Es ist mir egal, was Finn von Rafael denkt. In meinen Träumen hat er sich mit ihm verstanden, er wird es

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