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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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Kirchenbank Platz nehmen, deine Lobpreisungen hinter dich bringen und wieder gehen können?“
    „Das ist nicht nur meine persönliche Auffassung“, verteidigt sich Rafael. „Es ist die Wahrheit! Jesus war jahrhundertelang ziemlich sauer auf die Evangelisten, weil sie ihm beim letzten Abendmahl Worte in den Mund gelegt haben, die er so nie gesagt hat. Er hat sogar einen Untersuchungsausschuss beantragt, aber das Ganze ist dann im Sande verlaufen, weil die ersten Christenverfolgungen unsere Aufmerksamkeit beanspruchten. So viele Märtyrer, die alle auf einmal in den Himmel wollten, und wir waren noch nicht mal fertig mit der Ausarbeitung des Aufnahmeverfahrens. Ich meine, wir waren am Anfang ja auch noch ein bisschen ungeübt.“ Rafael sieht mich hilfesuchend an. „Jetzt habe ich den Faden verloren“, sagt er und ich verdrehe die Augen, „wo war ich stehen geblieben? Ah, ja – Abendmahl. Also, Jesus und die Jünger hatten es sich ein bisschen nett gemacht und Jesus hatte gerade Maria Magdalena weggescheucht, die schon wieder seine Füße waschen und dann mit ihren Haaren trocknen wollte – wusstet ihr, dass er furchtbar kitzelig ist unter den Fußsohlen? Und sie hatte auch nie ein Handtuch dabei … “
    „Warum sollte Maria Magdalena ein Handtuch dabei haben?“ unterbricht ihn Anja verständnislos.
    „Na ja, das ist doch das Mindeste, was man von einer Fußpflegerin erwarten kann, oder?“ erwidert Rafael erstaunt.
    Anja sieht ihn mit offenem Mund an. „Maria Magdalena war Fußpflegerin? Ich dachte, sie war eine Prostituierte!“
    „Ach, Blödsinn! Sie war nur manchmal ein wenig spärlich bekleidet, aber das ist auch kein Wunder, wenn man an die Temperaturen im Gelobten Land denkt. Bei vierzig Grad im Schatten trägt man wohl kaum Pullover und Wintermantel! Darf ich jetzt meine Geschichte zu Ende erzählen? Ich hasse es, wenn mir jemand vor der Pointe ins Wort fällt“, sagt Rafael unwirsch. Anja und ich nicken eingeschüchtert. „Jedenfalls gab es ziemlich viel zu trinken an dem Abend“, fährt Rafael befriedigt fort. „Aber Jesus verträgt Alkohol nicht besonders gut, schon gar keinen Rotwein. Er wird dann immer ein wenig weinerlich und neigt zum Plappern. Nach dem dritten Glas hat er zu den Jüngern gesagt, dass er vielleicht nicht mehr lange bei ihnen sein wird und sie ihn nicht vergessen sollen, und nebenbei hat er Simon Petrus Wein und Brot gereicht, also eher zufällig. Und daraus haben dann die Evangelisten diesen Satz gemacht ‚Nehmt und esset alle davon, dies ist mein Leib …‘, und so weiter und so weiter, ihr wisst schon. Jesus hat das nie gesagt, das wäre ja auch einfach zu unappetitlich gewesen. Wer will sich schon gerne vorstellen, er könnte gerade auf dem großen Zeh von Gottes Sohn herumkauen, wenn er in ein Stück Brot beißt?“
    „Und das hast du vorhin während der Messe erzählt?“ frage ich.
    „Nicht ganz so ausführlich, aber im Großen und Ganzen, ja. Ist der Kaffee fertig?“
    „Kein Wunder, dass der Pfarrer fast einen Herzinfarkt bekommen hätte“, sagt Anja, während sie Rafael eine Tasse Kaffee auf den Tisch stellt. Zu einer anderen Reaktion sind wir beide nicht fähig, zu sehr sind wir noch damit beschäftigt, diese völlig andere und doch sehr profane Sichtweise überlieferter Religionsgeschichte zu verdauen.
    Alles, was Rafael sagt, klingt irgendwie logisch und gleichzeitig völlig absurd. Es könnte die Wahrheit sein oder ein gut einstudierter Schwindel. Als rationale Menschen, die im 21. Jahrhundert leben, tendieren Anja und ich natürlich eher zur zweiten Möglichkeit, und diese Überlegung bringt Anja auf eine Idee, die die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden endlich in einem plausiblen Licht erscheinen lässt.
    „Jetzt weiß ich es“, sagt sie aufgeregt, „das ist eine neue Staffel von Versteckte Kamera und du bist der Köder – der Schauspieler, der uns hereinlegen soll!“ Mit den Augen sucht sie die Wände in der Küche nach Videokameras ab.
    „Wie ich schon mehrfach und nachdrücklich erklärt habe“, sagt Rafael und mustert Anja beleidigt, „ich bin ein Engel.“
    „Ja, ja“, winke ich ab, „und du bist hier, um mein Leben wieder ins rechte Lot zu bringen. Wissen wir schon. Aber alles, was du bisher auf die Beine gestellt hast, ist ein Bußgeldbescheid über sechzig Euro, und den werde wahrscheinlich ich bezahlen müssen, weil du als himmlischer Bote wohl eher nicht über Bargeld oder eine Kreditkarte verfügst, stimmt‘s?“

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