Und dann der Himmel
weiteres Mal in dieser Nacht öffne. Doch Rafael schläft nicht mehr. Er steht am Fenster, den nackten Körper in ein Betttuch gehüllt, und beobachtet die Sterne. In Gedanken scheint er ganz weit weg zu sein. Mein Kommen registriert er nur mit einer kleinen Kopfbewegung. Ich stelle mich neben ihn und schaue in die Nacht.
„Warum tust du das?“ fragt Rafael plötzlich und seine Stimme klingt vorwurfsvoll.
Ich sehe ihn überrascht an.
„Deine Träume“, sagt Rafael. „Sie sind voller Rachsucht.“
„Ich kann mein Unterbewusstsein nicht kontrollieren“, erkläre ich trotzig. „Außerdem hat er es verdient.“ Die Träume mit Finn haben begonnen, kurz nachdem wir uns getrennt hatten. Ich habe sie fast jede Nacht und manchmal sogar mitten am Tag. Aber woher weiß Rafael davon?
Rafael seufzt und wir schweigen. „Siehst du den kleinen, hellen Punkt dort oben?“ fragt er und zeigt auf einen Stern direkt vor uns.
Ich nicke wortlos.
„Er ist so wunderschön“, seufzt Rafael.
„Ist das der Ort, wo du herkommst?“ frage ich leise.
Rafael schnaubt belustigt auf. „Nein, Marco. Ich bin ein Engel, kein Alien . Mein Zuhause ist kein bestimmter Ort, sondern all das hier.“ Mit einer vagen Handbewegung umfasst er das gesamte Firmament.
„Du hast Heimweh“, stelle ich erstaunt fest.
„Ja“, sagt Rafael einfach und ich schweige bedrückt, denn womit kann ich einen traurigen Engel trösten?
„Bist du wirklich ein Engel?“ frage ich schließlich.
„Manche Dinge“, sagt Rafael ruhig, „sind wahr – ob man daran glaubt oder nicht.“ Um uns herum ist plötzlich alles ganz still.
„Warum bist du hier?“ frage ich weiter und lege die Arme um meine Schultern. Die Kälte der Nacht durchdringt langsam meinen Schlafanzug.
„Um dir zu helfen.“
„Brauche ich denn deine Hilfe?“ Meine Stimme hört sich unsicher und verängstigt an.
„Ja“, antwortet Rafael ernst. „Und das nicht zum ersten Mal.“ Dann huscht ein kleines Lächeln über sein Gesicht und er wuschelt mir freundschaftlich durch die Haare. „Geh schlafen, Marco. Wir werden morgen darüber reden. Morgen ist ein neuer, aufregender Tag.“
Noch bevor ich darüber nachdenken kann, was Rafael mit dieser Bemerkung gemeint haben könnte, liege ich wieder im Bett und bin eingeschlafen, sobald mein Kopf das Kissen berührt hat. Diesmal träume ich nicht.
2. Tierisch rechtsradikal
Am nächsten Morgen wache ich auf, als jemand an meine Zimmertür hämmert. Panisch schaue ich auf den Wecker, aber es ist erst kurz nach acht. Ich wanke schlaftrunken aus dem Bett, stoße mir dabei auch noch den Fuß am Bettpfosten und öffne fluchend die Zimmertür.
„Was ist?“ fahre ich Anja an, die mit einem pompösen Gesichtsausdruck im Türrahmen steht. „Weißt du eigentlich, wie früh es ist?“
„Danke, ich habe auch gut geschlafen“, erklärt sie beleidigt. Dann fügt sie kühl hinzu: „Draußen stehen die Bullen, und sie haben Rafael dabei. Ich dachte, es würde dich vielleicht interessieren!“
„Was?“ Ich stürze in die Rumpelkammer. Die Laken sind zerwühlt, aber das Bett ist leer.
Vom Stuhl schnappe ich mir eine Jogginghose und ein T-Shirt, springe in die Klamotten und laufe zur Wohnungstür, wo tatsächlich zwei Polizisten warten und argwöhnisch Rafael im Auge behalten, der zwischen ihnen steht und aussieht, als könnte er kein Wässerchen trüben.
„Morgen“, sagt einer der Polizisten und tippt sich an die Mütze. „Sind Sie Marco Hollweger?“
„Ja“, sage ich zögernd. Was um alles in der Welt hat Rafael bloß ausgefressen?
„Und dieser Herr“, er deutet auf Rafael, „gehört zu Ihnen?“
Ich habe plötzlich einen ganz trockenen Mund. „Er … er ist zu Besuch bei mir. Er ist ein Freund … aus Italien“, lüge ich. Es ist das Erste und Einzige, was mir im Moment einfällt.
„Und wie heißt er?“ fragt der Polizist weiter. „Er wollte uns nämlich nur seinen Vornamen und Ihre Adresse verraten. Fast hätten wir ihn mit auf die Wache genommen.“
Hilflos sehe ich Rafael an und überlege krampfhaft, welche italienischen Nachnamen ich kenne. „Caravaggio“, bringe ich schließlich heraus. „Rafael Caravaggio.“
Anja hält sich die Hand vor den Mund und versucht verzweifelt, nicht loszuprusten.
„Und wieso spricht er so gut Deutsch, wenn er Italiener ist?“ fragt der Beamte misstrauisch.
„Er … er stammt aus Südtirol“, sage ich schnell und habe das Gefühl, mich um Kopf und Kragen zu reden. Rafael
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