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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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Rafael schlägt den Blick nieder und brummt eine Entschuldigung.
    In diesem Moment geht die Küchentür auf und Lars gesellt sich zu uns. Er scheint gerade aufgewacht zu sein, denn seine Haare sind ungekämmt und seine Augen noch ganz verquollen. „Morgen zusammen“, gähnt er und grinst mich an. „Na, heute früh schon mit einem Engel gepoppt?“ Erst dann bemerkt er, dass auch Rafael am Küchentisch sitzt. „Oh … tut mir Leid“, schiebt er schnell nach, „war nicht so gemeint.“
    „Steck deine Nase nicht in meine Angelegenheiten und schon gar nicht unter meine Bettdecke!“ sage ich wütend. „Einmal reicht!“
    Danach entsteht eine peinliche Pause, bis sich Rafael räuspert. „Ich würde gerne mal eben duschen“, sagt er. „Kannst du mir zeigen, wo das Bad ist, Marco?“
    „Ja, klar, kein Problem.“ Ich springe auf, werfe Lars einen vernichtenden Blick zu und gehe mit Rafael in den hinteren Teil der Wohnung, wo sich mein Zimmer, die Rumpelkammer und das Bad befinden.
    „Du darfst Lars nicht so ernst nehmen“, sage ich, während ich Rafael ein Handtuch reiche, „er redet viel Mist, wenn der Tag lang ist.“
    Rafael lacht leise und zieht sich das T-Shirt über den Kopf. „Mach dir deswegen keine Sorgen, Marco“, sagt er. Halb ausgezogen hält er inne und sieht mich an. „Hättest du denn gerne Sex mit mir?“ fragt er.
    „Was? Aber nein! Wo denkst du hin!“ sage ich heftig und etwas zu schnell, um überzeugend zu wirken. Ich kann meine Augen nicht von seiner nackten Brust und der Stelle unterhalb seines Bauchnabels losreißen, wo ein Strich feiner, dunkler Haare in seiner Jeans verschwindet.
    „Wirklich nicht?“ sagt Rafael und grinst mich verschmitzt an. Langsam, wie in Zeitlupe, öffnet er die Knöpfe seiner Jeans. Mir wird plötzlich ganz heiß und ich fange an zu schwitzen.
    Ich werde von einem Engel verführt! denke ich ungläubig, während mir der Schweiß den Nacken herunterrinnt. Das nimmt mir kein Mensch ab!
    Unter dem blauen Jeansstoff blitzt das Weiß von Rafaels Unterhose auf. Genau wie ich hat Rafael einen Ständer. Seine Erektion kann ich deutlich erkennen.
    „Oh!“ stoße ich hervor. „Im Himmel trägt man auch Calvin Klein ?“ Dann stürze ich so schnell ich kann aus dem Badezimmer.
    Mein Verhältnis zu Religion, insbesondere zu angeblichen Bewohnern einer überirdischen Sphäre, war immer etwas zwiespältig. Schon als Kind kamen mir gewisse Zweifel, ob es tatsächlich einen gerechten Gott gibt, und meine Vorbehalte hat bis auf den heutigen Tag niemand zu meiner Zufriedenheit ausräumen können. Schuld an meinen Bedenken ist ein Streit, den ich als Fünfjähriger mit dem damaligen Stellvertreter Gottes auf Erden hatte: meinem Vater.
    Den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens in der kleinen fränkischen Stadt, in der ich aufwuchs, bildete ohne Zweifel die katholische Kirche in der Nähe des Marktplatzes, wobei das Interesse am Gottesdienst eher sekundär war. Viel wichtiger waren der Schwatz mit den Nachbarn, der Austausch von Gerüchten und Neuigkeiten und das wöchentliche Zur-Schau-Stellen intakter Familienverhältnisse. Meine Eltern, Anhänger der 68er-Generation und schon damals auf geradem Weg, Gründungsmitglieder der Grünen zu werden, besaßen allein schon deshalb einen gewissen Paradiesvogel-Status im Dorf. Doch genau wie ihre Nachbarn hatten meine Eltern nicht viel mit Frömmigkeit im Sinn, wenn auch aus anderen Gründen. Viel lieber lasen sie nämlich sonntags morgens Zeitung oder diskutierten das Für und Wider von gewaltfreien Besetzungen der Zufahrtswege von Atomkraftwerken – wobei mein Vater schon erste Anzeichen eines gewissen Wertkonservatismus erkennen ließ, während meine Mutter den radikaleren Forderungen der Bürgerinitiativen zuneigte. Damals habe ich mir bei diesen Diskussionen nichts gedacht; im Rückblick scheint es fast so, als wären es die ersten Anzeichen gewesen, dass das Zusammenleben meiner Eltern nicht ohne größere Konflikte bleiben würde.
    Trotz allem wurden meine Schwester und ich hin und wieder in die Kirche geschleppt, insbesondere zu hohen Feiertagen wie Ostern und Weihnachten. Hinweise meines Vaters auf die Gefahr einer sozialen Ächtung seiner Kinder bei Nichterscheinen wogen schwerer als das Lieblingszitat meiner Mutter, dass Religion Opium fürs Volk sei. So auch an jenem Ostersonntag.
    Zu diesem Zeitpunkt besaß ich ein geringfügiges Hörproblem – ausgelöst durch die Faszination für und die falsche Anwendung von

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