Und dann der Himmel
der Hellste …“
„Wieso?“ unterbreche ich.
Rafael sieht mich irritiert an. „Lass es mich so formulieren: ein Waisenkind mit Migrationshintergrund, aufgezogen in der bildungsfernen Unterschicht …“
„Ach, ich dachte, er sei von der Familie des Pharaos aufgezogen worden?“ erwidere ich erstaunt und erinnere mich vage an einen Disney- Film, den ich mal gesehen habe.
„Falsch. Von einer hebräischen Amme. Wir haben es so eingefädelt, dass es seine leibliche Mutter war“, korrigiert mich Rafael gereizt. „Zweites Buch Mose 2.2-10. Willst du wirklich mit mir über Bibelgeschichte diskutieren?“
„Entschuldigung.“
„Jedenfalls“, fährt Rafael fort, „ist Moses viel zu beschäftigt damit, sein Volk ins Gelobte Land zu führen, und vergisst das ‚Kleingedruckte‘ im Laufe der Zeit. Was letztendlich dazu führt, dass euer heutiger Glaube nur auf Bruchstücken von Gottes Worten basiert. Er hat viel mehr zu sagen gehabt. Viel mehr!“ Rafael sieht mich triumphierend an. „Was uns wieder zu Gebot 5 a bringt!“
„Ich kann es kaum erwarten“, sage ich.
„5 a führt logischerweise Gebot Nummer 5 ‚Du sollst nicht töten!‘ weiter aus“, doziert Rafael. „Sozusagen ein Unterpunkt. Es legt ausdrücklich fest, dass man diesbezüglich auch seine Gedanken im Zaum halten soll, denn meist ist es vom Wunschdenken nur ein kleiner Schritt bis zur Tat.“
„Gott verbietet den Menschen also das Denken?“ schnaube ich empört. „Gut, dass man diese Regel nicht überliefert hat. Mit so einer Einstellung wäre die Menschheit heute noch in der Steinzeit!“
„Die Menschen sind von Gott geschaffen worden. Er kann ihnen vorschreiben, was er will!“ widerspricht Rafael.
Das wollen wir doch mal sehen! Ich jedenfalls werde mir nicht diktieren lassen, was in meinem Kopf vor sich zu gehen hat und was nicht! denke ich und gehe ein paar Schritte schneller, um die unsinnige Diskussion zu beenden. Zum Glück sind wir in diesem Moment an unserem Ziel angelangt.
Das Bohnencafé , in dem ich aushilfsweise kellnere, liegt nur zwei Straßen entfernt an einem kleinen Park, was den Vorteil hat, dass im Sommer Außengastronomie möglich ist und eine weitere Einnahmequelle bietet. Wir stellen dann zusätzliche Tische und Stühle nach draußen, hängen ein paar Lampions und einen Mückentoaster in die angrenzenden Bäume und leben neben unserer Stammkundschaft von nichtsnutzigen, Steuergelder verprassenden Studenten, die sich an den lauen Abenden lieber vor ein Kölsch als vor eine schriftliche Hausarbeit setzen. Anja ist dann auch häufig da.
Das Konzept des Cafés ist etwas außergewöhnlich und hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass der Laden brummt. Innen wird man von einer riesigen Chromtheke mitten im Raum empfangen, was es den Gästen ermöglicht, dem Personal bei der Arbeit zuzusehen. Nicht immer besonders angenehm für die Mitarbeiter – ich erinnere mich nur ungern an den Tag, an dem ich mit den Fingern in der Cappuccinomaschine stecken geblieben bin, mir die Hände verbrüht habe und einer der Gäste vor Lachen vom Hocker gefallen ist –, aber sehr beliebt bei den Kunden. Die Decke ist komplett verglast, sodass man bei Sonnenschein in einem Licht durchfluteten Raum sitzt und bei Regen beobachten kann, wie das Wasser auf das Glasdach prasselt. Es gibt auch einen Kamin, in dem bei nasskaltem Wetter, so wie heute, Holzscheite abbrennen. Die Tische in der Nähe des Feuers sind dann immer am begehrtesten.
Der Clou am Bohnencafé aber ist, dass das Café gleichzeitig auch eine Art Gärtnerei darstellt. Überall zwischen den Tischen sind in riesigen Bottichen kleine Bäume, blühende Sträucher oder Rabatten mit Saisonblumen gepflanzt. Wer Interesse hat, kann das Grünzeug auch käuflich erwerben, die Preise sind auf der Speisekarte vermerkt. Es gibt Bananenbäume, zwei Meter hohe Yuccas, unter der Decke lassen Monsterfarne ihre Arme nach unten baumeln, und es gibt alle möglichen anderen Pflanzen, deren Namen ich mir nicht merken kann. In einer Ecke neben den Toiletten ist sogar ein Goldfischteich installiert mit einem kleinen Springbrunnen. Wenn man sich ein bisschen Mühe gibt, kann man sich vorstellen, man sitze mitten im botanischen Garten.
Ulli, der Eigentümer des Ladens, hatte die Idee zu diesem Konzept, als er eines Tages keinen Bock mehr hatte, in der Gärtnerei ausschließlich mit den Pflanzen zu reden. Kohlköpfe, Tomatensträucher und Rosenstöcke sind eben keine besonders versierten
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