Und dann der Himmel
Gesprächspartner und Ulli ist jemand, der ohne kommunikativen Austausch nicht leben kann – er redet ohne Punkt und Komma. Also verkaufte er kurzerhand seine Gärtnerei, nahm einen Großteil seiner Pflanzen mit und eröffnete in einer alten, ausgedienten Fabrikhalle das Bohnencafé . Seitdem trottet er mit seiner lila Latzhose zwischen den Blumen hin und her wie ein von der Zeit vergessener APO-Anhänger, düngt hier ein bisschen, entfernt dort ein paar verwelkte Blätter und verbringt den Rest der Zeit damit, mit den Gästen zu quatschen. Für die eigentliche Arbeit, also die Bedienung der Kundschaft, hat er Personal eingestellt, nämlich mich und meine Kollegen.
Und die Leute lieben den Laden. Es ist, als hätte die Stadt nur darauf gewartet, dass ein Bistro wie das Bohnencafé eröffnet. Konjunkturkrise? Wirtschaftsmisere? Rezession? Nicht bei uns. Vom ersten Tag an gab es kaum einen freien Platz, außer natürlich am Vormittag, wenn die Studenten noch im Bett liegen – und Ulli scheffelt Geld, obwohl seine Lieblingslektüren Marx und Engels sind und man bei den Getränkepreisen das Ambiente mitbezahlt.
Inzwischen habe ich sowieso den leisen Verdacht, dass mein Chef unter seiner proletarischen Latzhose dem schnöden Mammon verfallen ist. Erst vor einer Woche waren ein paar Herren in maßgeschneiderten Anzügen und mit einer dicken Aktenmappe hier und haben auf einen sichtlich interessierten Ulli eingeredet. Mich hat das ziemlich nervös gemacht.
Als Rafael und ich durch Matsch und aufgeweichtes Laub auf das Café zulaufen, beide noch immer ein wenig verstimmt, ist die Eingangstür schon geöffnet, obwohl es noch keine zehn Uhr ist. Aus dem Inneren des Ladens plärrt Musik in voller Lautstärke. Ulli muss schon da sein und bedröhnt seine Pflanzen mit Rock’n‘Roll. Er ist der festen Überzeugung, dass sie dadurch besser wachsen. Ich bin mir allerdings nicht sicher, welche aufmunternde Botschaft „Born to Be Wild“ von Steppenwolf , der Hymne der Easy-Rider-Generation, einem vor sich hindämmernden und in der Erde festgewachsenen Usambaraveilchen vermitteln soll. Aber von mir aus kann Ulli sein Gemüse auch mit Hip-Hop oder Gitte berieseln, Hauptsache, ich kriege meine Kohle am Monatsende.
Mit zugehaltenen Ohren betreten wir das Café und Katrin, die die Frühschicht hat, zuckt beim Gläserspülen vielsagend die Schultern.
Ulli kommt uns mit einem Schwall Papiere im Arm entgegengeschlurft. „Hast du dich in der Schicht vertan, Marco?“ brüllt er erstaunt, um die Gitarrenriffs zu übertönen. „Ich dachte, du hast heute frei? Leute, ihr müsst wirklich mehr darauf achten, welche Absprachen ihr untereinander trefft, ich weiß wirklich nicht …“
„Ich wollte frühstücken“, unterbreche ich Ullis Wortschwall, gebe Katrin ein Zeichen, die Musik etwas leiser zu stellen, und schäle mich aus meiner Winterjacke. „Ich bin sozusagen privat hier. Das ist übrigens Rafael, ein … Freund von mir.“
Ulli öffnet den Mund und will gerade Rafael begrüßen, als hinter ihm plötzlich die Erde zu beben beginnt und die Aschenbecher auf den Tischen klirren. So ähnlich muss es in den Weiten Afrikas klingen, wenn eine Meute wilder Tiere über die Savanne hetzt, auf der Jagd nach Beute. Quer durch den Raum fegt im gestreckten Galopp ein riesiger, grauer Hund von der Größe eines ausgewachsenen Kalbs auf uns zu, wirft auf seiner Sprintstrecke ein paar Stühle zu Boden und ich sehe aus den Augenwinkeln, dass sich Katrin hinter die Theke duckt. Das Vieh kommt schliddernd neben Ulli zum Stehen, setzt sich auf seine Hinterbeine und sabbert einen See von Spucke aus seinem hechelnden Maul genau vor meine Füße. Instinktiv gehe ich ein paar Schritte zurück und versuche, mich hinter Rafael zu verstecken. Die letzten Töne von Steppenwolf verstummen und ich frage entgeistert: „Was um aller Welt ist denn das?“
„Das“, erklärt Ulli seufzend, „ist Adolf. Eine Deutsche Dogge.“
„Ah!“ sage ich und verstehe nur Bahnhof. „Und wie kommt er hierher? Ich meine, wem gehört er? Und warum hat er so einen schrecklichen Namen?“
„Adolf ist der Hund meines Großvaters“, sagt Ulli mit heruntergezogenen Mundwinkeln, als ob das Licht in die Sache bringen würde. Ich weiß jedoch nur, dass Ulli sich zeit seines Lebens immer mit seinem Opa in den Haaren gelegen hat. Das lag wohl daran, dass der alte Herr es nicht verwinden konnte, dass sein einziger Enkel die Ideale der APO-Zeit propagierte, freie Liebe und
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