Und dann der Himmel
Schoß sitzen. Nein, danke. Und wo geht ihr hin?“
„Ins Bohnencafé . Rafael will frühstücken. Dann kann ich ihm auch gleich mal zeigen, wo ich jobbe.“
„Komm doch mit“, sagt Rafael unerwartet und lächelt Lars an. Fast könnte man es als Friedensangebot interpretieren.
„Nee, lass mal“, wehrt Lars ab und ich atme erleichtert auf, „ich schmeiß mich lieber noch ’ne Runde ins Bett. Wenn ich schon blaumache, dann will ich auch was davon haben.“ Er gähnt, kratzt sich ausgiebig am Sack und schlurft in sein Zimmer zurück.
Finn fährt auf den Vorplatz der Tankstelle und parkt neben einer Zapfsäule. Der Weg, den er vor sich hat, ist weit, und er braucht einen gut gefüllten Tank. Er ist der einzige Kunde. So früh am Morgen sind die Bauern in den Ställen oder auf den Feldern und die Frauen kümmern sich um Haushalt und Kinder. Laufkundschaft verirrt sich nur selten hierher, die Abgeschiedenheit der Landschaft hat Finn ja gerade auf die Idee gebracht. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihn jemand von seinem Plan abhalten könnte, ist hier sehr gering.
Ein Angestellter mit einem blauen Overall kommt aus einem Schuppen auf ihn zu, wischt sich die Finger an einem Lappen sauber und bietet ihm an, die verdreckte Windschutzscheibe zu putzen und den Ölstand zu prüfen. Finn schüttelt den Kopf, aber er murmelt ein Dankeschön, weil er weiß, dass ein solcher Service nicht selbstverständlich ist. Der Tankwart beäugt Finns Auto kritisch, sagt: „Der Reifendruck müsste auch mal geprüft werden“ und sieht ihn abwartend an.
„Nur volltanken bitte“, antwortet Finn. Verstohlen mustert er den jungen Mann. Schmale Hüften und ausladende Schultern wie bei einem Leistungsschwimmer; auf dem Oberarm befindet sich eine Tätowierung – eins von diesen Tribal Tattoos, die jetzt sogar schon Kassiererinnen im Supermarkt tragen. Nur das Gesicht gefällt Finn nicht. Es ist nichts sagend, unbeschrieben, als wartete sein Besitzer noch darauf, dass die Zeit ihm ein paar Konturen aufdrückt.
„War’s das?“ fragt der Mann knapp, verschließt Finns Tankdeckel und hängt den Zapfstutzen an die Säule. Er sieht keinen Grund, übermäßig freundlich zu sein. Mit diesem Kunden kann er kein zusätzliches Geschäft machen. Finn nickt und folgt dem Overall in den Schuppen. Auf dem Tresen dudelt ein Radio leise Schlagermusik und der Tankwart murmelt missmutig: „Scheiß-Schnulzensender.“ Finn bezahlt das Benzin mit Kreditkarte und kauft noch einen Schokoriegel. Wozu, weiß er selbst nicht, er hat nicht vor, ihn zu essen.
„Wiedersehen“, murmelt er, aber der Tankwart beachtet ihn schon nicht mehr.
Finn steigt in seinen Wagen und biegt auf die schmale, zweispurige Landstraße. Niemand kommt ihm entgegen. Die Landschaft um ihn herum ist trostlos winterlich. Bäume, die ihre schwarzen, kahlen Äste wie nach einem Feuer in die Höhe recken; braune, brachliegende Felder und ein grauer, nebelverhangener Himmel. Dampf steigt aus den Schornsteinen der Häuser, die er hin und wieder am Straßenrand passiert. Finn überlegt, ob er nicht einfach seine Absichten ändern und ins Rheinland fahren soll, ganz spontan. In ein paar Stunden wäre er da. Er könnte vor Marcos Wohnung halten, Sturm klingeln, die Treppe hinaufhetzen und ihn dann keuchend und außer Atem auf Knien um Verzeihung bitten. Er könnte alle Schuld auf sich nehmen, auf keinen Fall dürfte er Marco vorwerfen, ebenfalls Fehler begangen zu haben – so wie beim letzten Mal. Ob Finn damit Recht hat oder nicht, spielt keine Rolle, Hauptsache, er bekommt Marco wieder.
Er verscheucht den Gedanken unwirsch. Marco wird ihm niemals verzeihen. Und eine weitere Demütigung erträgt er, Finn, nicht. Marcos Worte haben ihn zu tief verletzt.
Während seine Augen auf die Landstraße gerichtet sind, kramt Finn im Handschuhfach nach Musik, die zu seiner Stimmung passt. Dann hat er plötzlich eine CD von Abba in den Fingern, die er eigentlich gar nicht hören will. Sie erinnert ihn zu sehr an Marco, der ein fanatischer Fan der schwedischen Popgruppe ist und jeden Ton mitsingen kann, den die vier je veröffentlicht haben. Der Gedanke an Marco versetzt Finn einen Stich und er schließt für einen Moment die Augen. Kurz darauf klingt Agnethas traurige, anklagende Stimme durch den Innenraum des Wagens.
I don’t wanna talk about the things we’ve gone through
Though it’s hurting me, now it’s history
I’ve played all my cards and that’s what you’ve done, too
Nothing more to
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