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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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Auftauchen scheint alles in Frage zu stehen, was mir bisher Sicherheit gegeben hat. Manche Leute mögen eine frische Brise als wohltuend empfinden, ich dagegen friere im Wind: Ich fühle mich grässlich, als hätte mir jemand den Teppich unter den Füßen weggezogen und wollte ausprobieren, wie viele Schicksalsschläge ich verkrafte, bevor ich mich lebensmüde in die trägen Fluten des Rheins stürze. Doch noch bin ich nicht so weit. Ich weiß zwar im Moment nicht, wie ich meinen Lebensunterhalt verdienen soll, aber zumindest bin ich mir sicher, dass ich auf den Trost und den Zuspruch meiner Mitbewohner zählen kann. Außerdem ist das Wasser des Rheins um diese Jahreszeit völlig verdreckt, mordsmäßig kalt und ich bin ein bisschen wasserscheu. Völlig von Wasser umgeben zu sein löst in mir Beklemmungen und Herzrasen aus. Selbst bei Urlauben am Meer gehe ich nie tiefer als bis zu den Knöcheln ins Wasser.
    Der Gedanke an Feuchtigkeit und Kälte erinnert mich daran, dass ich nicht ewig durch den Regen stapfen kann, ohne mir eine Erkältung zuzuziehen, und ich mache mich auf den Rückweg. Zu Hause ist es wenigstens warm und gemütlich und ich kann mich von den anderen bedauern lassen. Ein bisschen Seelenmassage wirkt jetzt sicherlich Wunder. Außerdem ist sie wahrscheinlich doch effektiver als mein Selbstmitleid.
    Aber natürlich ist es in der Wohnung alles andere als friedlich und niemand ist auch nur ansatzweise an meiner seelischen Verfassung interessiert. Tatsächlich regiert im obersten Stockwerk das Chaos. Schon im Treppenhaus kann ich das Kläffen von Adolf hören, lautstarkes Gepolter und die hysterische Stimme von Patrick. Einige Nachbarn strecken neugierig den Kopf aus der Tür. Rafaels Zweckoptimismus bezüglich des Familienzuwachses ist wohl auf taube Ohren gestoßen. Kaum drehe ich den Schlüssel im Schloss, als die Wohnungstür aufgerissen wird und mich der Engel mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck nach drinnen zerrt.
    „Sie mögen Adolf nicht!“ erklärt er enttäuscht.
    „Wundert mich nicht“, erwidere ich, während ich meine klatschnasse Jacke über die Heizung hänge. „Niemand mag Adolf. Ich auch nicht! Er ist einfach nicht liebenswert.“
    „Jedes Geschöpf Gottes ist liebenswert!“
    „Aber nicht, wenn es so groß und so hässlich ist und seine Speichelproduktion Wasserschäden bei den Nachbarn hervorruft!“ sage ich wütend und deute auf mehrere feuchte Stellen auf dem Küchenboden.
    Wenn ich genau darüber nachdenke, finde ich auch einige kleine Geschöpfe, die Gott oder die Evolution oder wer auch immer hervorgebracht hat, nicht sehr liebenswert. Insbesondere Mücken, Mäuse und Kakerlaken. Aber es ist sicher sinnlos, darüber mit Rafael zu streiten.
    Logischerweise bleibt es an mir hängen, meine Mitbewohner gnädig zu stimmen, und es kostet mich einige Mühe, Anja und Patrick zu überreden, wieder aus ihren Zimmern zu kommen. Hinter den Türen werden mir wütend die Worte „Zwinger“, „Maulkorb“ und „Tierheim“ zugerufen und es ist nicht eindeutig zu verstehen, ob sie den Hund oder mich damit meinen. Beide sind erst bereit, die Küche zu betreten, nachdem Rafael ihnen versichert, dass Adolf völlig harmlos ist. Anja wirft mir vor, gegen die ungeschriebenen Gesetze der WG verstoßen zu haben, indem ich ungefragt einen neuen Mitbewohner angeschleppt habe.
    „Ich habe fast einen Herzinfarkt bekommen, als dieses … dieses Tier plötzlich in die Küche trottete und mir zur Begrüßung über die Hand geleckt hat! Ich musste ihn mir mit einem Stuhl vom Leibe halten!“ keift sie mich an. „Wie kommst du auf die schwachsinnige Idee, wir wären damit einverstanden, dass diese Töle hier wohnt?“ Doch bevor ich spitz fragen kann, warum ihre Kritik sich dann konsequenterweise nicht auch auf anwesende Engel bezieht, bekommt Patrick eine Instant-Depression und einen neuen Minderwertigkeitskomplex, als er bemerkt, wie riesig Adolfs „Ding“ ist.
    „Doppelt so groß wie meiner!“ flüstert er kopfschüttelnd und starrt mich anklagend an, als ob ich für die Ausmaße von Adolfs Fortpflanzungsorgan verantwortlich wäre.
    Meine vehementen Proteste, dass nicht ich, sondern Rafael das Monstrum mitgebracht habe, werden einfach mit dem Hinweis beiseite gewischt, dass es schon eine ziemliche Unverfrorenheit von mir sei, einem Engel die Verantwortung für meine unüberlegten Handlungen in die Schuhe schieben zu wollen, noch dazu einem Engel, der auf brutale Art und Weise aus seinem

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