Und dann der Himmel
Plätzchen backen …“
„Kommt nicht in Frage“, unterbricht mich Anja, „ich bin auf Diät!“
„Niemand hat gesagt, dass du sie essen sollst. Du sollst sie backen!“ grinst Lars.
„Au ja! Und Heiligabend singen wir Stille Nacht und Rafael erzählt uns die Weihnachtsgeschichte“, schlägt Patrick augenzwinkernd vor. „Das schreit geradezu nach Klischee!“
„Gerne!“ Rafael ist sofort Feuer und Flamme. „Es gibt da nämlich ein paar Aspekte, die ich schon immer mal richtig stellen wollte. Zum Beispiel die Sache mit der unbefleckten Empfängnis …“
„Nein!“ rufen Anja und ich wie aus einem Mund. „Bloß nicht!“
„Bitte, dann eben nicht“, sagt Rafael eingeschnappt. „War ja nur ein Vorschlag.“
„Aber wir haben Weihnachten doch noch nie zusammen gefeiert“, wendet Lars ein.
„Eben drum“, sage ich. „Wir waren ja auch noch nie über die Feiertage alle hier. Bisher sind wir immer zu unseren Familien oder zu Freunden gefahren.“
Tatsächlich habe ich in den Jahren zuvor Weihnachten entweder bei meinen Eltern in Franken oder – was noch viel schlimmer war – bei Sabine und ihrer Familie in der Lüneburger Heide verbracht. Nachdem meine Eltern beim letzten Mal über die Frage des deutschen Afghanistaneinsatzes einen handfesten Ehekrach vom Zaun gebrochen hatten – er endete damit, dass meine Mutter mehrere Teller des Festtags wie Frisbeescheiben an die Wand warf und meinem Vater empfahl, doch gleich in die CSU einzutreten, und er ihr geduckt hinter dem Wohnzimmersessel zuschrie, dass er das schon längst heimlich getan habe, worauf meine Mutter beinahe einen basisdemokratischen Herzinfarkt bekommen hätte –, hatte ich eigentlich beschlossen, dieses Jahr niemanden mit meiner Anwesenheit über die Feiertage zu beehren und stattdessen das Fest still und leise an mir vorbeirauschen zu lassen. Angesichts der sich häufenden Berichte und Meldungen über Familientragödien im Bekanntenkreis, die sich immer dann ereignen, wenn mehrere, emotional voneinander abhängige Personen über längere Zeit auf zu engem Raum zusammengepfercht werden, bin ich sowieso kein Freund von Gefühls-Großkampftagen wie Ostern, Weihnachten und Goldenen Hochzeiten. Diese Feiertage reduzieren den Menschen nur auf seine niederen Triebe: Rachsucht, Völlerei und Raffgier. Vollgefressen und leicht betrunken von zu schwerem Rotwein sagt man den Eltern oder den Geschwistern Dinge, die man ihnen schon immer mal sagen wollte, aber besser für sich behalten hätte, und die Geschenke sind sowieso nie groß oder teuer genug. Dann geht man zusammen in die Kirche, wo ein paar dilettantisch aufspielende Erstklässler die Weihnachtsgeschichte vorführen und sich hinter der Bühne tränenüberströmt darüber in die Haare kriegen, warum sie nur ein Schaf oder eine Ziege und nicht den Josef oder den Verkündigungsengel darstellen dürfen, und zum Schluss wünscht man sich gegenseitig mit einem gefrorenen Lächeln auf den Lippen ein friedvolles Fest und das Einzige, woran man denken kann, ist der übermächtige Wunsch nach einer Fluchtmöglichkeit, die es nicht gibt.
Dagegen hat jetzt die Vorstellung, die Weihnachtstage im Kreise meiner Mitbewohner – na schön: und Rafael – zu feiern, etwas Friedliches und Entspannendes. In Gedanken rieche ich eine im Ofen schmorende Ente, Tannengrün und den benebelnden, würzigen Duft mehrerer Joints. Jemand könnte mir einen Hocker unter die Füße stellen, damit ich es bequem habe, und später könnten wir alle zusammen über die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten ablachen. Das würde mich emotional ein bisschen aufpäppeln. Vielleicht könnte ich sogar das ein oder andere Geschenk abstauben. Je mehr ich darüber nachdenke, desto besser gefällt mir die Idee. Voller Hoffnung warte ich die Reaktion der anderen ab.
Anja schüttelt schließlich den Kopf. „Tut mir Leid, Marco, aber meine Mutter ist dieses Jahr mit ihrem neuen Lover auf einer Kreuzfahrt in der Karibik. Sie haben mich eingeladen. Ich kann den Arsch zwar nicht ab, aber einen kostenlosen Traumurlaub lasse ich nicht so einfach sausen.“
„Ich bin auch nicht hier“, sagt Patrick. „Eigentlich wollte ich Freunde in Schleswig-Holstein besuchen, aber die Kinder haben Mumps – und ich habe nie Mumps gehabt.“
„Ja, und?“ frage ich verständnislos.
Patrick sieht mich entgeistert an. „Mumps im Erwachsenenalter kann Impotenz zur Folge haben! Wusstest du das nicht?“ Lars erstickt um ein Haar an seinem
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