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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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hole tief Luft. „Das … das heißt, dass wir alle hier einen neuen Arbeitgeber bekommen?“
    „Das heißt, dass du gefeuert bist, Marco!“ ruft Rafael unbekümmert von seinem Platz aus zu mir herüber.
    Ich sehe Ulli fragend an und zu meinem Entsetzen nickt er erneut.
    „Ich werde nicht übernommen?“ bohre ich nach.
    „Leider nicht. Es sei denn, du möchtest dich in Zukunft als Putze betätigen.“
    „Als Putze?“
    Ulli räuspert sich. „Der Laden wird zu einem Sexkaufhaus umgebaut, von so einer internationalen Kette“, stottert er. „Komplett mit Magazinen, Spielzeug, Kino und Videokabinen. Der Betreiber sucht noch eine Reinigungskraft, die nach Geschäftsschluss … äh … aufwischt.“
    „Und da hast du an mich gedacht?“ frage ich empört. Unwillkürlich schüttelt es mich von oben bis unten. „Das ist ja wohl das Letzte! Nein, danke!“
    „Es tut mir Leid, Marco“, sagt Ulli bedauernd, „aber ich konnte das Angebot einfach nicht ablehnen.“
    „Kapitalistenschwein!“ zische ich leise, aber gerade noch laut genug, damit Ulli es hört. „Überläufer! Geldgeiler Bonze!“ Ohne den Kellnerjob kann ich mich finanziell nicht über Wasser halten. Meine Tätigkeit als Werbesynchronsprecher reicht gerade mal aus, um einen Teil der Miete abzudecken. In Gedanken sehe ich mich schon bettelnd und frierend, in Lumpen gehüllt und medizinisch unterversorgt mit einem Hut in der Hand durch die Haupteinkaufsstraßen von Köln ziehen. Ein weiteres namenloses Opfer der Globalisierung. Ich mache mir Vorwürfe, nicht häufiger Fair-Trade-Kaffee aus Nicaragua gekauft zu haben – hätte ich mich intensiver um eine bessere Welt bemüht, hätte das Schicksal diesen Kelch vielleicht an mir vorübergehen lassen.
    Ich traue mich kaum, meine nächste Frage zu stellen. „Ab wann machst du den Laden denn dicht?“ Vielleicht habe ich ja wenigstens noch eine Galgenfrist, um mich nach etwas anderem umzusehen.
    „Äh … morgen. Heute ist der letzte Tag.“
    „Was?“ brülle ich außer mir. „Morgen? Hättest du mir das nicht ein bisschen früher mitteilen können? Wo soll ich denn so schnell einen neuen Job herkriegen?“ Auch Katrin, die hinter der Theke unserer Unterhaltung zuhört, traut ihren Ohren kaum.
    „Der neue Betreiber will so schnell wie möglich umbauen. Die Eröffnung ist schon für Mitte Januar geplant. Und es ist ja nicht so, als hätten wir einen festen Vertrag mit Kündigungsfristen vereinbart“, sagt Ulli pikiert, schon ganz der neureiche Snob. „Trotzdem habe ich natürlich irgendwie ein schlechtes Gewissen …“
    „Tatsächlich!“ unterbreche ich ihn sarkastisch.
    „… und deshalb wollte ich dir und den anderen jeweils drei Monatsgehälter als Abfindung zahlen.“
    Schnell überschlage ich, wie viel Geld mir bleibt, bevor ich verhungern muss. „Das sind gerade mal tausend Euro!“ sage ich schließlich erschrocken.
    „Tut mir Leid, Marco. Mehr ist nicht drin“, erwidert Ulli und wendet sich zum Gehen, nachdem er mir einen Briefumschlag mit ein paar Geldscheinen in die Hand gedrückt hat. Für ihn ist die Sache damit scheinbar erledigt.
    „Dann will ich auch deinen blöden Hund nicht haben!“ rufe ich ihm wütend hinterher.
    „Zu spät“, mischt sich da plötzlich Rafael wieder ein. „Noch einen Herrchenwechsel verkraftet Adolf nicht. Dann hat er ein psychisches Trauma.“
    „Na und?“ gifte ich Rafael an. „Das ist mir völlig egal! Um meine Traumata kümmert sich auch keine Sau! Ich bin gerade arbeitslos geworden!“
    Ich lasse mich Rafael gegenüber auf einen Stuhl fallen und schlage die Hände vors Gesicht. „So ein Mist!“ Ich atme tief durch und versuche mühsam, mich zu sammeln. „Immerhin habe ich noch den Job als Synchronsprecher“, mache ich mir selber Mut. „Ich werde einfach in dem Bereich ein bisschen mehr arbeiten müssen!“
    „Äh …“, sagt Rafael und sieht mich mit großen Augen an. Dann zieht er langsam einen Brief aus seiner Jacke. „Das hier habe ich heute Morgen für dich aus dem Briefkasten gefischt.“
    „Du stiehlst meine Post?“ frage ich erbost. „Was fällt dir eigentlich ein?“
    „Ich stehle nicht!“ erklärt Rafael. „Ich wollte dir den Brief geben, aber ich hab’s dann einfach vergessen. Auch einem Engel unterläuft mal ein Fehler!“
    Ich will gerade einen weiteren Tobsuchtsanfall bekommen und Rafael in unmissverständlichen Worten die Bedeutung von Privatsphäre klarmachen, als mein Blick auf den Absender des Schreibens fällt.

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