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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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Zuhause geworfen worden sei. Wie erstaunlich, dass die vorherige Skepsis bezüglich Rafaels Geschichte auf einmal wie weggeblasen scheint!
    Zu allem Überfluss nutzt Rafael diesen Moment unerwarteten Mitleids schamlos aus, verzieht wehleidig das Gesicht und erklärt, er habe Rückenschmerzen, sicherlich von dem Aufprall auf meiner Kühlerhaube. Patrick vermutet sofort eine Prellung der Wirbelsäule und berichtet düster von medizinischen Abhandlungen über schleichende Querschnittslähmungen. Minuten später hat Rafael eine Wärmflasche im Rücken, ist von aller Mitschuld an Adolfs Anwesenheit in unserer Wohnung befreit und hat mir endgültig den schwarzen Peter zugeschoben. Einzig Lars ist von Anfang an von dem Hund angetan. Er sagt, dass er schon immer ein „richtiges“ Haustier haben wollte – eine spöttische Anspielung auf meine Liebe zu Hamstern –, der Hund sei doch knuffig, und im Übrigen sei er bereit, sich jeden Samstagnachmittag freiwillig um Adolf zu kümmern, denn mit einer Dogge dieser Größenordnung an seiner Seite bräuchte er die Pöbeleien der besoffenen Fußballprolls vom FC in seiner Stammkneipe nicht mehr zu fürchten.
    Als die Situation sich ein wenig entspannt hat, komme ich endlich dazu, meinen Mitbewohnern zu erzählen, dass ich meine Arbeitsstellen verloren habe und auf dem besten Wege bin, zu einem Sozialfall zu werden. Ich setze ein mutloses Gesicht auf und freue mich auf ein paar tröstende Worte und aufmunternde Plattitüden – irgendetwas, was meiner bedauernswerten Situation angemessen Rechnung trägt –, aber stattdessen ernte ich nur Schweigen. Adolf hat sich unter den Küchentisch zurückgezogen, auf den Rücken geworfen und zeigt Patrick sein „Ding“, Lars sucht im Brotkorb nach etwas Essbarem und Anja sagt schließlich gelangweilt: „Tja, Marco, was hast du erwartet? So ist das in der freien Marktwirtschaft nun mal. Da kommt nicht immer jemand vorbei, der einen lobt!“ Patrick fängt an zu gackern wie ein schizophrenes Huhn und ich bin sprachlos. Ein solcher Satz ausgerechnet aus dem Mund von Anja, deren Lebensplanung darauf ausgerichtet ist, auf direktem Wege vom BAföG in die Frührente oder den Schoß eines betagten Herrn zu rutschen.
    Ich will mich gerade schmollend in mein Zimmer zurückziehen, als Lars – um die allseits gereizten Nerven zu beruhigen – vorschlägt, ein Video anzuschauen. Eigentlich habe ich keine Lust, eigentlich bin ich ja beleidigt, aber allein in meinen vier Wänden würde mir jetzt die Decke auf den Kopf fallen. Ungnädig und in keinster Weise besänftigt, trotte ich also hinter den anderen her in Lars’ Zimmer. Nur Adolf bleibt schlafend unter dem Küchentisch zurück.
    Kurz darauf werden wir von einer weiteren Lars-Spezialversion von Sex and the City berieselt. Hätte ich mir auch denken können. Lars besitzt sämtliche Folgen der Serie, weil er total auf Samantha abfährt. Sein neuestes Hobby besteht darin, alle Bettszenen mit Kim Cattrell am Computer zusammenzuschneiden und uns vorzuführen. Wir haben die nymphomanische Samantha schon fickend im Restaurant, im Bett, auf dem Klo und im Auto gesehen, liegend, sitzend und stehend, und mir wird jedes Mal ganz schwindelig dabei. Die Frau hat mehr Sex an einem Tag als ich in meinem ganzen Leben! Lars dagegen bekommt dabei Stielaugen und atmet ein wenig schwer.
    Aber so richtig bei der Sache bin ich heute sowieso nicht. Während die anderen kichernd auf die Mattscheibe starren, wandern meine Gedanken zu den bevorstehenden Feiertagen und meinem plötzlich übermächtigen Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit. Nach den Hiobsbotschaften des Morgens brauche ich einen positiven Ausblick.
    „Und wenn wir Weihnachten dieses Jahr zusammen feiern?“ rutscht es mir heraus, während Samantha eine akrobatische Leistung vollführt, die sich in zehn Jahren bestimmt negativ auf ihre Wirbelsäule auswirken wird.
    Ich weiß auch nicht, wie ich auf diese Idee komme. Sie ist auf einmal da wie eine Erleuchtung und erscheint mir wie die Lösung aller meiner Probleme: Weihnachten mit meinen Freunden. Die anderen glotzen mich an, als hätte ich endgültig den Verstand verloren.
    Nur Rafael fragt erstaunt: „Ach, feiert ihr die Geburt von Gottes Sohn sonst nicht gemeinsam?“ und bugsiert Fridolin XIV., den er aus seinem Käfig befreit hat, behutsam von der linken in die rechte Hosentasche, wo er ein paar Haferflocken für ihn versteckt hält. Sein angeblich verstauchter Rücken scheint vergessen zu sein.

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