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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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sich eine Zigarette an, inhaliert tief und hustet. Sein ganzes Leben hat er nicht geraucht und seine Lungen rebellieren gegen die ungewohnte Mischung aus Teer und Nikotin. Es ist alles Marcos Schuld. Als Marco ihm den Laufpass gegeben hat, brauchte Finn etwas, um seine aufgewühlten Nerven zu beruhigen, ist in den nächsten Tabakladen gestürmt und hat noch auf dem Bürgersteig fünf Zigaretten hintereinander geraucht, bis ihm ganz schwindelig war.
    Jetzt nimmt er den Glimmstängel mit nach draußen in die kalte Mittagsluft und sieht zu, wie sich die stinkenden Tabakschwaden verflüchtigen. Eigentlich findet er Rauchen abscheulich. Es hinterlässt einen bitteren Geschmack in seinem Mund und seine Kleidung riecht nach Asche. Finn beschließt, noch heute mit dem Rauchen aufzuhören, und grinst. Sollte er seinen Humor wiedergefunden haben?
    Auf dem Hof dreht er sich um und betrachtet das Haus, das er von seinen Eltern geerbt hat. Es ist ein wenig heruntergekommen. Der Putz bröckelt an manchen Stellen, einige Dachziegel fehlen, andere sind lose und die Regenrinne ist undicht. Eigentlich hatte er das Haus damals verkaufen wollen; es bot zu wenig Komfort und war zu abseits gelegen für seinen Geschmack. Aber aus irgendeinem Grund hat er sich doch nicht zum Verkauf entschließen können und sich über die Jahre mit den Unannehmlichkeiten arrangiert. Im Laufe der Zeit hat er etwas handwerkliches Geschick erworben. Er kann mittlerweile Stromkabel verlegen, mauern und sogar ein wenig zimmern. Sein Bett ist sein ganzer Stolz, er hat es in wochenlanger Arbeit selbst gebaut. Jeder Mann, den er hierher in die Einöde und in sein Bett locken konnte, hat die feine Maserung des Holzes bewundert und die Robustheit des Gestells ausprobiert. Gerade Marco, der sich immer gegen den Rahmen geworfen hat, wenn er in der Hitze des Gefechts darum bettelte, von Finn in die Matratze genagelt zu werden.
    Finn erinnert sich plötzlich an einen Tag vor dem Ende ihrer Beziehung, als das mit Carl gerade passiert war. Er hatte ein Kaninchen geschossen und war in der Küche damit beschäftigt, das Tier zu häuten und auszunehmen. Der süßliche Geruch von Blut hing wie Dampf in der Luft. Er hatte gerade die Gedärme im Müll entsorgt, als Marco aus der Dusche kam und wie angewurzelt im Türrahmen stehen blieb.
    „Was – was tust du da?“ fragte er schockiert. Das Handtuch, das er sich um die Taille gebunden hatte, löste sich und fiel zu Boden.
    Finn war zu beschäftigt, um die unnatürlich geweiteten Pupillen von Marco zu registrieren. Nicht einmal den Haschischduft hatte er wahrgenommen. „Heute Abend gibt’s Kaninchenbraten“, hatte er gesagt. „Ganz frisch.“ Er wollte Marco etwas Besonderes bieten, genau vor vier Monaten hatten sie sich kennen gelernt.
    „Gerade erst umgebracht?“ fragte Marco. Langsam war er nach vorne gekommen und hatte auf die blutige Masse vor sich gestarrt. Zögernd hatte er seine rechte Hand ausgestreckt und das Kaninchen berührt. „Warm“, hatte er gemurmelt. „Warm und glitschig.“ Dann hatte er seine Finger mit einer Mischung aus Faszination und Ekel in den Tierkörper geschoben. Als er sie wieder herauszog, war seine Hand bis zum Handgelenk rot verschmiert. Langsam, wie in Trance, hatten seine Finger blutige Striche auf seinen Körper gemalt, auf die Stirn, die Wangen und auf den Bauch. Seine Augen hatten Finn unverwandt angeblickt.
    „Hugh!“ hatte er schließlich gesagt und die Hand abwartend gesenkt. „Ich bin ein Indianer.“
    Noch niemals in seinem Leben war Finn so erregt gewesen. Jede Bewegung von Marco hatte er verfolgt, jeden Strich beobachtet. Seine Hände hatten gezittert und er musste sich an der Spüle abstützen, weil ihm die Beine auf einmal nicht mehr gehorchten. Ein rötlicher Film hatte sich über seine Augen gelegt und sein Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment explodieren. Er hatte Marco auf dem Küchentisch genommen und die Erinnerung an ihr hilfloses, unmenschliches Stöhnen hatte ihn noch Tage später zusammenzucken lassen.
    „Scheiße!“ brüllt Finn so laut er kann und scheucht unbeabsichtigt ein paar Krähen vom Dachfirst. Auf einmal vermisst er Marco so sehr, dass es ihm körperliche Schmerzen bereitet.
    „Tu es nicht“, sagt unvermittelt eine Stimme hinter ihm. „Du musst dagegen ankämpfen!“
    Blitzschnell dreht sich Finn um und sieht, dass hinter ihm ein junger Mann steht, mit strähnigen, dunklen Haaren. Er kommt ihm bekannt vor, die Grübchen auf der

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