Und dann der Himmel
Ungewissen beiseite, fürchte dich nicht vor dem Unbekannten, tauch ein in den Moment der Gegenwart. Du kannst dich ruhig fallen lassen, ich werde bei dir sein.“
Ich schnaube verächtlich auf. Rafael klingt wie der Leiter eines fernöstlich inspirierten Selbsterfahrungskurses. „Und wenn ich nicht will?“ frage ich störrisch.
Rafael räkelt sich noch immer nackt auf meinem Bett. Er schaut mich mit einem unverschämten Grinsen an. „Vier Tage mit mir auf einer Reise quer durch Deutschland oder dein Schutzengel macht sofort die Biege und gesteht gegenüber dem Allmächtigen sein Versagen ein. Du hast die Wahl!“ Dabei fährt seine Hand scheinbar unabsichtlich über seine Brustwarzen. Er weiß genau, wie er mich kriegen kann.
„Das ist Erpressung!“ protestiere ich und vergesse völlig, dass Rafael angeblich nur dann zurückkehren kann, wenn er seinen Auftrag erfolgreich ausführt.
„Sagen wir lieber, dass ich meine Trümpfe geschickt auszuspielen verstehe“, korrigiert mich Rafael. Es bereitet ihm sichtlich Vergnügen, mich in die Enge zu treiben.
Ich seufze und starre unentschlossen aus dem Fenster. Dann lege ich mich neben Rafael und kuschele mich so dicht wie möglich an ihn. Ich spüre, wie mein Herzschlag sich in seiner Umarmung beruhigt. Rafaels Nähe fühlt sich an wie Zuhause-Sein und mein Widerstand schmilzt wie das Eis in einem Caipirinha.
„Aber dann bin ich Weihnachten trotzdem alleine“, sage ich leise. „Du hast doch gesagt, du hast nur bis Heiligabend Zeit.“
„Weihnachten“, sagt Rafael geheimnisvoll, „wird alles ganz anders sein.“
„Und wann soll es losgehen?“ frage ich, nicht im Mindesten überzeugt.
„Morgen früh. Du packst nachher ein paar Sachen für uns zusammen und den Hundenapf für Adolf und nach dem Frühstück fahren wir los. Dein Auto fährt ja wieder.“
„Wir können Lars’ Minibus nehmen“, sage ich geistesabwesend. „Er hat es uns angeboten.“
„Wirklich?“ fragt Rafael überrascht. „Prima, dann ist ja genug Platz für alle anderen!“
„Welche anderen?“ frage ich schläfrig. „Wir sind doch nur zu dritt …“
„Zu dritt. Genau“, versichert Rafael hastig, aber ich bin zu müde, um den merkwürdigen Unterton in seiner Stimme wahrzunehmen.
„Kann ich nicht wenigstens die erste Station unseres ‚Urlaubs‘ erfahren?“ nörgele ich.
„Vertrau mir einfach“, wiederholt Rafael und sieht mir in die Augen. Dann rutscht er ein Stück nach unten und seine Zunge vergräbt sich in meinem Bauchnabel. Ich stöhne, schließe die Augen und vergesse die Welt um mich herum.
4. Angriff der Heidschnucken
„Fertig!“ sagt Rafael zufrieden, nachdem er unser Gepäck auf einer der umgelegten Rückbänke verstaut hat. Fridolin XIV., den ich natürlich nicht zurücklassen kann, ist samt Käfig ebenfalls dort untergebracht und Adolf hat sich auf der Hinterbank niedergelassen und hechelt erwartungsvoll. Anscheinend mag er Abenteuer, ganz im Gegensatz zu seinem neuen Herrchen. Ich komme mir vor, als gehörte ich zu einer neapolitanischen Großfamilie. Mit einem Knall schiebt Rafael die Tür des Kleintransporters zu.
Patrick, Anja und Lars stehen um das Auto herum und bibbern in der Kälte. Sie sind mit nach unten gekommen, um uns zu verabschieden, als ob sie es nicht abwarten könnten, dass ich verschwinde.
„Der Hund sabbert“, konstatiert Patrick.
„Ich weiß“, erwidere ich. „Ich wollte ihm eigentlich eine Plastikschüssel zwischen die Pfoten stellen, aber was mache ich in einer scharfen Kurve oder bei einer Vollbremsung? Soll er sabbern. Hauptsache, der Boden rostet nicht durch.“
Wahrscheinlich braucht der Boden Adolfs Mithilfe gar nicht, um in seine Bestandteile zu zerfallen, denn Lars’ weißer Lieferwagen ist trotz der wochenlangen Reparaturen eine Schrottmühle. Die Gangschaltung funktioniert nur mit Gewaltandrohung, die Beifahrertür lässt sich nicht öffnen, der Auspuff knattert wie ein Maschinengewehr und die Sitze sind so verschlissen, dass die Polsterung und ein paar Sprungfedern herausschauen. Als Krönung hängt am Rückspiegel ein Duftbaum, der angeblich nach Meeresbrise riechen soll. Ich werfe ihn aus dem Auto, noch bevor wir überhaupt losfahren.
„Das hätte ich jetzt nicht getan“, tadelt mich Lars kopfschüttelnd.
„Warum nicht? Das Zeug hat bestialisch gestunken! Es riecht nicht nach Meeresbrise, sondern nach Klostein.“
„Ja, aber es überdeckt den ursprünglichen Geruch. Der Wagen gehörte einem
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