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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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Verkauf anzubieten, manchmal sogar Kombinationen von beiden. So bestand das Tagesangebot zum Beispiel aus einem großen Milchkaffee und einem Topf Dahlien, wahlweise in gelb, rot oder pink für nur 6,95 Euro. Finn runzelte die Stirn und sah sich hilfesuchend nach einer Bedienung um. Ein gut aussehender Kerl mit einem leichten, rotblonden Kinnbart und ein paar Sommersprossen auf der Nase trat an seinen Tisch.
    „Was kann ich dir bringen?“ fragte er und musterte Finn verstohlen, aber nicht so geschickt, dass der es nicht bemerkt hätte.
    „Ein großes Wasser und einen Milchkaffee“, antwortete Finn und blickte in ein Paar grüne, lachende Augen, „aber muss ich dann auch die Blumen kaufen?“ Dabei deutete er vage auf die Karte.
    Die Bedienung grinste und schüttelte den Kopf. „Das ist nur ein Tick von Ulli“, sagte er, und als er Finns fragenden Blick sah, fügte er erklärend hinzu: „Ulli ist der Besitzer – der Typ in der Retro-Latzhose, der dahinten den großen Bambus wässert. Ohne Grünzeug kostet der Milchkaffee drei Euro.“
    „Kann ich auch was essen?“
    „Klar. Spezialität des Hauses ist heute Salat aus Kapuzinerkresse und Löwenzahnblättern mit Croûtons und Putenbruststreifen. Biologisch angebaut und von mir heute Morgen selbst geerntet.“
    „Die Putenbruststreifen?“
    Der Kellner lachte laut auf. „Die Kresse natürlich“, antwortete er und zwinkerte Finn zu.
    Finn bestellte amüsiert auch noch den Salat. Während er das bunte und eigenwillige Gemisch aus Blüten, Blättern, gerösteten Brotkrumen und Fleisch aß, spürte er immer wieder den Blick des Mannes, der ihn bedient hatte, auf seinem Rücken ruhen. Finn fühlte sich geschmeichelt und stellte hin und wieder einen scheuen Augenkontakt her. Als er mit dem Essen fertig war, kam der Kellner noch einmal an seinen Tisch und sah Finn zögernd an. „Ich … ich hoffe, du fasst das jetzt nicht als blöde Anmache auf“, druckste er herum, „und eigentlich quatsche ich die Gäste nie an, aber ich habe gleich Feierabend, und ich habe mich gefragt, ob du dir vielleicht vorstellen könntest … natürlich nur, wenn du nichts Besseres vorhast … ob du eventuell Lust hast, noch was mit mir zu unternehmen?“ Das Gesicht des Mannes lief vor Verlegenheit rot an. „Mein Name ist übrigens Marco.“ Finn lächelte verstohlen und beschloss, Marco einen Moment lang zappeln zu lassen. Demonstrativ hielt er sich die Hand vor den Mund und gähnte. „Eigentlich wollte ich jetzt ins Hotel und mich ein bisschen aufs Ohr legen“, gab er vor. „Ich bin den ganzen Tag durch die Stadt gelaufen und bin müde.“
    „Oh, alles klar“, machte Marco einen schnellen Rückzieher, „sorry, ich wollte dir nicht …“ Seinem Gesicht war die Enttäuschung anzusehen und Finn tat es augenblicklich Leid, dass er versucht hatte, ein Spielchen zu spielen.
    „Möchtest du trotzdem mitkommen?“ fragte er.
    Marco sah Finn fragend an. „Wieso? Ich dachte, du wolltest dich hinle… ah, verstehe“, sagte er dann und ein breites Grinsen zog sich von einem Ohr zum anderen. „Du hast Recht, ich bin auch ziemlich kaputt. Ein kleiner Mittagsschlaf nach dem anstrengenden Dienst täte mir sicher auch gut.“
    „Mein Bett ist recht eng für zwei“, stellte Finn fest.
    „Gut“, erwiderte Marco. „Das ist gut.“
    Finn hat über die Erinnerung sein Sandwich vergessen und wirft den Rest des Brotes in den Schnee. Irgendein hungriges Tier wird sich darüber hermachen. Er hat jetzt keinen Appetit mehr; sein Magen fühlt sich auf einmal an wie zugeschnürt. Hätte er gewusst, wie alles enden wird, wäre er an jenem Wochenende nicht nach Köln gefahren.
    Er trinkt gierig aus seiner Wasserflasche und schultert dann den Rucksack. Den größten Teil der Strecke hat er zwar schon zurückgelegt, doch das letzte Stück ist steil und anstrengend. Er tritt aus dem Wald heraus ins Freie; vor ihm breitet sich eine menschenleere, schneebedeckte Ebene von einigen hundert Metern aus. Dahinter liegt ein mit Steinen übersäter Berghang, auf dem im Sommer Moos und dorniges Gestrüpp wachsen. Diesen Anstieg muss er noch bewältigen, dann hat er es geschafft. Wenn er die Augen zusammenkneift, kann er die Kante sehen, an der der Hang urplötzlich aufhört, in die Höhe zu wachsen, und sich zu einem schmalen Plateau verbreitert. Es sieht aus, als hätte jemand mit einem scharfen Messer einen Kuchenboden aufgeschnitten und den oberen Teil abgenommen. Finn nimmt all seinen Mut zusammen und

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