Und dann kam Ute (German Edition)
Hastig schippte ich mir ’ne Handvoll kaltes Wasser ins Gesicht, schnappte mir den Autoschlüssel und stürmte die Treppe runter. Sie stand schon mit ihrer Sporttasche unten vor dem Auto. Schnell rein mit ihr in den knallengen Schalensitz, und sieben Minuten 35 Sekunden später bremsten wir mit quietschenden Reifen vor dem Krankenhauseingang.
«Ute, steig du schon mal aus. Den Sitz können wir dir ja gleich oben abmachen!»
Trotz aller Nervosität musste sie lachen. Wir gingen zusammen auf die Entbindungsstation.
«So», sagte ich zu den zwei Nachtschwestern, «wem darf ich denn die junge Mutter anvertrauen?»
Verachtungsvoll blickte mich die ältere der beiden an. Sie war zirka Ende fünfzig, hatte beeindruckende Oberarme und ein Gesicht, auf dem in Großbuchstaben stand: «Keine Widerrede, sonst knallt’s.»
«Dat hab ich gerne. Erst mit der Flöte die Weiber ins Bettchen pfeifen, und wenn’s ernst wird, sich feige verdrücken. Jetzt nimmst du mal schön die Tasche und packst die in Zimmer 301 aus. Dann kommst du hier in den Kreißsaal 2 und ziehst brav deine albernen Stiefel aus. Schlappen stell ich dir dahin.»
Es gibt Situationen im Leben, da muss man sich fügen. Einfach mal den Ball flachhalten und abwarten. Wenn der Gegner zu übermächtig ist, verbünde dich mit dem Gegner – ganz im Sinne der alten chinesischen Ying-Zhao-Quan-Kampfregel: «If you can’t beat them, join them!»
Ich verspürte wenig Lust, mich Schwester Rabiatas Befehlsgewalt zu widersetzen. Das ist sinnlose Energieverschwendung. Ich kenne mich mit solchen Matronen aus. Meine Oma war genau so ein Typ. Die hat mir mal, als ich fünfzehn war, dermaßen eine gescheuert, weil ich bei Wim Thoelkes «Der große Preis» im Wohnzimmer direkt vorm Fernseher gestanden hab. Noch Fragen?
Als ich mir im Kreißsaal die Schlappen anzog und verzweifelt überlegte, ob es nicht doch noch eine Chance gab, irgendwie wieder aus der Nummer hier rauszukommen, nahm Ute meine beiden Hände und schaute mir ernst in die Augen: «Danke, dass du nicht abhaust. Das werde ich dir nie vergessen.»
An diesem 7. März 2008, um genau 9.35 Uhr und 12 Sekunden, erblickte Philipp Maria Peymann schreiend das Licht der Welt. 3585 Gramm im Schatten, 52 Zentimeter Länge, und der Rest war auch nicht ohne. Ein bildhübscher Kerl.
Ich habe schon viel gesehen und erlebt. Zivildienst, Splatter-Movies, angefahrene Kühe und Berti Vogts’ unverhüllte Körperteile in einer Herrensauna. Ich dachte wirklich, dass ich schussfest wäre – aber so eine Geburt gehört meiner Ansicht nach in Den Haag vor das Kriegsverbrechertribunal. Mein Gott, hat diese Frau geschrien!
Als Mann denkt man ja erst mal: Geburt, was soll denn daran so schlimm sein? Natürlich weiß ich, was Schmerzen sind. Ich bin ja schließlich auch geboren worden. Ja nee, is klar.
Jeder von uns Kerlen sollte Gott danken, dass die Frauen den Job machen. Dabei muss sich der Allmächtige vorher richtig was gedacht haben, weil wir Männer wahrscheinlich mittendrin sagen würden: «Kinners, beim besten Willen – ich kann nicht mehr. Wir machen morgen weiter.»
Nur durch das reine Mitleiden verlor ich drei Kilo. Ute zerfetzte meinen Pulli, biss mir den halben Unterarm ab und brach mir den kleinen Finger.
Als der Oberarzt mir die Schere in die Hand drückte, damit ich die Nabelschnur durchschnitt, sagte ich natürlich: «Ja sicher, gib her, kein Problem.» Fünf Minuten später wurde ich wieder wach und rief ihm von der Liege zu: «Lass das Dingen ruhig dran, sieht doch auch viel besser aus.»
Der Kleine lag auf Utes Brust. Sie sagte gar nichts mehr. Verliebt streichelte sie ihm über die beachtliche Neugeborenenmatte. Ich war total begeistert. Ein Baby mit so viel Haaren! Noch nie hatte ich so ein schönes Kind gesehen.
Nachdem auch die Hebamme festgestellt hatte, dass der kleine Mann in der Komplettausstattung ausgeliefert worden war, wurde Ute versorgt.
Eine verteufelt attraktive Krankenschwester trat mit dem Baby auf dem Arm auf mich zu. «So, Herr Schröder, jetzt wollen wir den Kleinen erst mal waschen!»
«Gute Idee, Schwester, aber wollen wir das nicht lieber auf morgen verschieben und uns jetzt um das Baby kümmern?»
Johlend und japsend vor Freude haute mir der Oberarzt die halbe Schulter weg: «Haha, Schröder, immer im Dienst was? Gratuliere, das hat Ihre Frau ganz toll gemacht!»
«Das ist nicht meine Frau, das ist meine Nachbarin.»
«Hahaha! Ihre Nachbarin! Köstlich, den muss ich
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