Und dann kam Ute (German Edition)
gehen. Tränen der Rührung liefen mir über die glühenden Wangen und verdunsteten, noch ehe sie meine rauen Bartstoppeln erreichten. Ich griff zu Block und Bleistift. Den Porsche sollte Philipp kriegen, meine Rolex, die ich in Ghana bei einem seriösen Händler in den Straßen von Accra mit von ihm persönlich unterschriebenem Echtheitszertifikat erworben hatte, sollte Gomera-Gerds Handgelenk schmücken. Ich rief meinen Manager Töne an, um ihm mitzuteilen, dass das Ende nahte, und um letzte Anweisungen zu geben: «Töne, mein treuer Gefährte, ich möchte nicht, dass du weinst – aber es ist vorbei. Mein maroder Geist verlässt nun bald diesen einstmals unbezwingbaren Körper. Du weißt, was zu tun ist. Ruf beim ZDF an – ich möchte mich mit einer großen Gala von der Nation verabschieden. Carmen Nebel soll in zwanzig Zentimeter hohen Hacken und einem ihrer sexy sitzenden Sakkos moderieren. Ich will auf dem Porsche-Werksgelände in Zuffenhausen beerdigt werden. Ich möchte diesen großen Helden der Arbeit ein bisschen was zurückgeben.»
Töne am anderen der Leitung schwieg andächtig und fragte dann ungerührt: «Hömma, Atze, du bist doch nächste Woche bei ‹Volle Kanne› im Morgenprogramm des ZDF. Die Redaktion lässt fragen, ob du nicht zusammen mit Ingo Mommsen einen AC/DC-Topflappen häkeln könntest.»
Ich brüllte heiser in den Hörer: «Ich fass es nicht. Ich sterbe, und du kommst mir mit Topflappen!?»
«Ja, Atze, ich weiß, aber du stirbst nicht. Ich hab eben mit dem Professor vom Tropeninstitut Hamburg gesprochen. In einer Woche bist du wieder auf dem Damm.»
«Ach was weiß der denn? Ihr habt doch alle keine Ahnung. Das wird euch allen noch mal schrecklich leidtun, aber dann ist es zu spät!»
Wutentbrannt knallte ich den Hörer auf, zog mich an und stürmte die Treppe zu Ute runter. Wie wild hämmerte ich an der Tür. Als die Tür aufging, ließ ich mich mit letzter Kraft in Utes Arme fallen. «Ich werde sterben», schluchzte ich verzweifelt.
Sie nahm meinen Kopf, streichelte mir die Locken und lächelte sanft: «Nein, mein Prinz, du stirbst nicht. Ich hab den Doktor heute Morgen im Hausflur getroffen. Und rate mal, was er gesagt hat: Nächste Woche bist du wieder ganz der Alte.»
Schlagartig ging es mir ein bisschen besser. Mein Gott, roch diese Frau gut. Ich spürte ein leichtes Pochen am Reißverschluss meiner knallengen Jeans. In der jäh aufkeimenden Scham über meine viel zu vitale körperliche Reaktion löste ich mich aus ihrer Umarmung. Ob sie es wohl gemerkt hatte? Sie tat ahnungslos.
«Hör mal, mein gelockter Tropenforscher, jetzt geh mal schön wieder nach oben ins Bett. Ich komme gleich mit Philipp hoch, bringe dir was zu essen und lese dir was vor.»
Die nächsten Tage schonte ich mich, und schon bald war ich so gut wie auskuriert. Alle hatten mich besucht: Hajo und Gerd waren jeden Abend zum Fußballgucken und Skatspielen am Start. Die ganze Nachbarschaft riss sich darum, mich mit Köstlichkeiten zu versorgen. Unser traditioneller Männerabend wurde samt Heizpilz kurzerhand an mein Krankenlager verlegt, und der edle Gerstensaft floss in Strömen. Selbst die gute Vanessa besuchte mich wieder. Sie hatte sogar von Douglas ein paar Badesalze mitgebracht, um mich ausgiebig und unter vollem Körpereinsatz aufopfernd in der Wanne zu baden. Ganz rührend: Aus meinem ghanaischen Dorf schickte mir der Medizinmann ein geheimnisvolles Pulver, das ich brav schluckte. Am Ende fand ich es fast schade, dass diese tolle Krankheit vorbei war. Es war so schön, wie gut sich unsere kleine skurrile Hausgemeinschaft in Zeiten der Not bewährte.
Die Früchte dieses Zusammenrückens sollte ich schon bald ernten. Aus heiterem Himmel rief mich Ute eines Nachmittags an und sagte das Unglaubliche: «Kannst du heute bitte Philipp vom Kindergarten abholen?»
Ich konnte es nicht fassen. Dass ich das noch erleben durfte! Bisher durfte ich ja wirklich alles mit dem Kleinen unternehmen, aber «Vom Kindergarten abholen» schien ein unumstößliches Tabu gewesen zu sein. Sogar Gomera-Gerd hatte ihren kleinen Liebling schon mal nach Hause bringen dürfen, nur ich nicht! Wahrscheinlich weil er Beamter war und ich ja nur ein unsteter Künstler-Hallodri. Vorsichtig fragte ich nach.
«Ute, bist du dir auch ganz sicher?»
«Ja. Aber hör gut zu. Ich hab dir alles, was du beachten musst, auf einen Zettel geschrieben und ihn in deinen Briefkasten geworfen. Sei bitte, bitte pünktlich. Wirklich, Atze, ich
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