Und dann kam Ute (German Edition)
fühlte mich wie ein Stück Tortenbrie in der Sauna.
Inzwischen war es dunkel geworden, erfreulicherweise wurde es auch ein winziges bisschen kühler. Englisch ist in Ghana Amtssprache, also hielt der Chief seine Rede in etwas, was so ähnlich klang: Pidgin English.
Viel hab ich nicht verstanden, aber nach einer halben Stunde Stehnickerchen hörte ich plötzlich, wie der Boss sagte: «And now da speach is to our guest Mister Atze Schröder! Let him speak for himself!»
Äääh … das kam jetzt aber sehr überraschend. Da stand ich also mutterseelenalleine vor zehntausend Menschen. Das ist so gesehen nichts Neues für mich. Aber hier handelte es sich nicht um meine geliebte Dortmunder Westfalenhalle, sondern um eine Art Open Air in Ghana. Mitten im Busch. Rumble in the Jungle. Und es war Nacht. Genau gesagt: sehr dunkle Nacht. Mitten im afrikanischen Busch wachsen keine Straßenlaternen aus dem Bürgersteig, denn es gibt keine Bürgersteige. Es gibt nur sehr dunkle Nacht. Also sah ich nix, nur die leuchtenden Augen der Dorfbewohner, die mir wie zwanzigtausend LED-Lichter entgegenblinkten. Go, Atze, go!
«Hello, my name is Atze, I come in peace. You can tell by the way I use my walk I’m a woman’s man, no time to talk! Thank you for the music! You make me feel like dancing. I’ve been looking for freedom – so don’t let me be misunderstood.»
Keine Reaktion. Ich versuchte es ganz schlicht:
«I love Ghana, I love you.»
Bingo! Auf einmal war Leben in der Bude. Alle freuten sich, was zur Folge hatte, dass neben den zwanzigtausend Augen noch zehntausend strahlend weiße Gebisse aufleuchteten. Es sah aus, als ob mir tausend Audi A8 entgegenkämen. Ich ließ nicht locker und machte den Sack zu: «Hey, Baby» von DJ Ötzi sang ich, und bei «Uh, ah!» geriet der ganze Platz völlig außer Rand und Band. Der DJ übernahm, und den Rest der Nacht wurde getanzt. Man feierte mich, und ich musste mit jedem Brüderschaft trinken. Mit Palmenschnaps ist das eine ziemlich undankbare Aufgabe, denn in Deutschland darf man das Zeug nur zum Abbeizen von Häuserfassaden benutzen, allerdings nur mit Schutzanzug. Irgendwann im Morgengrauen lag ich müde, aber glücklich in einer schlichten Lehmhütte und schlief erschöpft ein.
Als Bettina am nächsten Morgen im Dorf ankam, begann die offizielle Einweihungszeremonie für das neue Kinderkrankenhaus. Für uns hieß das: Tausende Hände schütteln und Glückwünsche entgegennehmen. Aus Respekt vor den Traditionen unserer Gastgeber hatten wir sogar ghanaische Gewänder angelegt. Voller Stolz ließen wir uns das Hospital zeigen und erklären. Ich war tief beeindruckt und fühlte mich ein bisschen wie ein wertvoller Teil des großen Ganzen. Ich will hier keine Klischees bedienen, aber wenn man ein paar Tage mit diesen wunderbaren Leuten verbringt, die trotz aller Härten ihre Lebensfreude nicht verlieren, dann kommt einem unweigerlich der Gedanke, dass uns Europäern ein wenig mehr davon auch guttun würde. Sooft es ging, telefonierte ich mit Ute. Es tat mir so gut, mit ihr zu sprechen, weil mir das Leid der Kinder im Krankenhaus doch schwer zusetzte. Dann tat Ute das, was sie wie niemand sonst kann: zuhören. Warm und feinfühlig, wie sie ist, fing sie mich auf. Beim tränenreichen Abschied versprach ich hoch und heilig, bald wiederzukommen. Überflüssig zu sagen, das ich für den Rückflug mit den Freunden von Angola Air drei Flaschen Palmwein im Handgepäck gebunkert hatte. Die Welt gehört schließlich den Mutigen. Oder besser gesagt: Das Glück ist mit den Doofen.
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15.
Chikungunyafieber
D as Chikungunyafieber ist eine tropische Infektionskrankheit, die durch Stechmücken übertragen wird. Das Chikungunyavirus löst hohes Fieber aus und sorgt für amtliche Gelenkbeschwerden. Und was stand da noch bei Wikipedia? – In der Sprache der afrikanischen Makonde heißt Chikungunya «der gekrümmt Gehende», weil man vor lauter Schmerz nicht aufrecht gehen kann. Die Krankheit hinterlässt meistens keine bleibenden Schäden und ist normalerweise selten tödlich. NORMALERWEISE SELTEN?
Ich weinte stumm ins Kissen. Ich war doch noch so jung. Eine scheiß afrikanische Mücke sollte mein Ende sein? Wie demütigend. Da schafft man Essen–Hamburg in anderthalb Stunden, überlebt als Einziger mit einem BVB-Trikot in der Nordkurve auf Schalke – und dann dies.
Aber wenn mein Tod auch nur zwei afrikanische Kinderleben gerettet hatte, dann würde ich in Frieden
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