Und dann kam Ute (German Edition)
Hunger!»
«Kein Problem, ich hab ein schönes Jägerschnitzel für dich.»
«Iiih, Jäger. So was kann man doch nicht essen!»
«Richtig, mein Junge. Deshalb kommt der ja auch in die Mikrowelle, da machen wir den warm.»
«Mikrowelle darf ich nicht essen, sagt Mama.»
Mein kleiner Freund war etwas verunsichert, also erklärte ich ihm geduldig die Sachlage: «Eben, deshalb essen wir ja auch nur das Schnitzel.»
«Schnitzel darf ich auch nicht. Mama sagt, wir sind Veganer. Wir essen nichts vom Tier, auch nicht Milch und Eier.» Na, das konnte ja heiter werden.
«Keine Milch und keine Eier? Wie willst du denn dann ein Schnitzel panieren? Aber egal, ich hab auch was Vegetarisches da: lombardisches Haselnuss-Pesto. Besser bekannt als Nutella. Hier hast du das Glas und ’nen Löffel.»
Das war ganz nach dem Geschmack meines kleinen Ehrengasts. Begeistert futterte er drauflos.
Herrlich, wie der Kurze mit Nutella-verschmiertem Gesicht vor der PlayStation saß und zockte wie ein Alter. Ich konnte mich gar nicht sattsehen. Irgendwann gegen neun wurde er von alleine müde. «Atze, ich kann nicht mehr. Ich geh ins Bett.»
«Kein Problem, Philipp. Kannst ruhig gehen, wir haben hier keinen Gruppenzwang.»
Brav trottete Monsieur ins Badezimmer, wischte dreimal mit der Zahnbürste durch den Mund, kloppte mit viel Hingabe einen Köttel olympischen Ausmaßes in die Keramik und haute sich nach dem Händewaschen wohlig in sein neues Bett. Beim Beten gab es noch kleine Irritationen, weil ich seiner Ansicht nach die Hände nicht richtig gefaltet hatte und angeblich im «Vaterunser» nirgendwo von AC/DC die Rede sei.
Danach schlief er selig ein, flüsterte mir aber vorher noch verschwörerisch zu: «Atze, komm mal her. Ich muss dir noch ein Geheimnis ins Ohr sagen: Ich hab dich ganz, ganz doll lieb.» Ehe ich mich’s versah, landete ein dicker, feuchter Schmatzer auf meiner Wange. Beim Verlassen des Gästezimmers wischte ich mir verstohlen eine Träne aus dem Auge. Was war das doch für ein feines Kerlchen!
Von da an schaute ich alle fünf Minuten ins Zimmer und kontrollierte, ob alles in Ordnung war. Dann schnappte ich mir meine Isomatte und legte mich neben Philipps Bett. Erschöpft stellte ich mir den Wecker für das Adventssingen und schlief zufrieden ein.
Am nächsten Morgen klingelte der Wecker pünktlich. Was uns nicht störte, denn wir waren schon seit drei Stunden wach und hörten gemeinsam eine Yakari-Kassette, lasen Philipps Lieblingsbuch «Zehn kleine Gummienten» und spielten «Ich rieche was, was du nicht siehst». Zum Frühstück gab es Leberwurststullen, dänischen Gurkensalat, Schoko-Croissants und jede Menge warmen Kakao, den wir mit einem dicken Strohhalm geräuschvoll aus großen Bechertassen schlürften. Danach rülpsten wir um die Wette. Philipp hatte Spaß wie ein Schnitzel. Nach einer ordentlichen Waschaktion schauten wir uns noch seine Lieblingssendung «Löwenzahn» an und räumten gemeinsam die Bude auf. Dann zogen wir uns warme Jacken an und fuhren zum Adventssingen auf den Essener Weihnachtsmarkt. Dort sollte Philipp mit dem Kinderchor der Musikschule ein Medley der schönsten Weihnachtslieder auf der großen Bühne vor dem Karstadt singen. Machen wir uns nix vor: Ich war aufgeregter als mein kleiner Kumpel. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal auf einem Weihnachtsmarkt gewesen war. Mit einem Kind ist so ein Weihnachtsmarkt tausendmal schöner. Plötzlich ergaben die Karussells und kandierten Früchte wieder Sinn. Und diese Gerüche! Herrlich. Allein wegen der Gerüche lohnt sich ein Besuch: Es riecht nach Zimt, Bratapfel, Glühwein, Bier, Wurst und Erbrochenem. Wunderbar.
Auf der großen Bühne standen dann dicht gedrängt neunzig Kinder inklusive meines Philipp. Alle wuselten durcheinander. Vor der Bühne drängten sich 180 Eltern – dasselbe Chaos wie auf der Bühne. Und kaum war der erste Ton erklungen, rissen alle ihre Fotohandys aus der Tasche, und 180 Arme reckten sich unisono in den sonnigen Winterhimmel. Als dann endlich der Chor auf der Bühne anfing zu singen, klang es, als würden in der Nachbarschaft Katzen totgetreten. Es war schauerlich. Aber je schlimmer es wurde, desto mehr Leben kam in die Eltern dieser Supertalente. Neben mir brüllte ein Asi mit Handy überm Kopf direkt los: «Jason, lauter! Jason! Jaaason, lauter. Lauter, ich hör nix. Ich hör nix! Jaaason!»
Ich konnte es nicht glauben.
«Mann, hast du es gut. Dein Jaust jallert uns ja noch den
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