Und dann kusste er mich
Dunstwolke aus Zigarren und Whisky. »Kümmert sich um alles, damit dieser Tag wunderschöööön wird, was? Die Frau ist ein Wunder. Hätte nichts dagegen, wenn sie auch mich glücklich machen würde.«
Der Mann stieß ein kehliges Lachen aus, doch Ailsas Lächeln blieb bewundernswert professionell.
»Gehört alles zum Service«, erwiderte sie, was angesichts des zweideutigen Grinsens des Mannes etwas unglücklich formuliert war.
»Ha! Davon gehe ich aus!«
Erschaudernd sah ihm Ailsa nach, als er sich zum Brautpaar begab, das die Gäste am Eingang des Ballsaals in Empfang nahm.
»Berufsrisiko, was?«, bemerkte Charlie.
»Kann man so sagen. Er ist der Stiefvater der Braut und hatte heute Morgen bei der Trauungszeremonie schon ordentlich Schlagseite. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie viel er inzwischen intus hat.« Sie zwinkerte Wren und mir zu: »Vor dem sollten Sie sich in Acht nehmen.«
Wren lachte: »Keine Bange. Rom und ich sind schon mit ganz anderen Lüstlingen fertiggeworden.«
Dank der begeisterten Reaktion auf unsere Rock-’n’-Roll-Darbietung bereitete uns der Auftritt einen Mordsspaß. Als Sängerin freute ich mich immer, wenn ich ausnahmsweise einmal derart bekannte Songs singen durfte, besonders vor einem so enthusiastischen Publikum wie an diesem Abend. Die Hochzeitsfeier hatte echtes Retro-Flair – die Damen mit weiten Petticoats und Ringelsöckchen oder in Grace-Kelly-Roben und die Herren in maßgeschneiderten Anzügen und mit Filzhüten. Lucy, die Braut, trug ein trägerloses Vintage-Brautkleid von Dior mit weitem Tüllrock, einer Korsage, die mit Spitzenrosen gesäumt und mit Perlen bestickt war, und dazu lange weiße Seidenhandschuhe. Rick wiederum, ihr frisch angetrauter Gatte, sah in seinem grauen Flanellanzug wie der junge Gregory Peck aus. Es war ein zauberhafter Anblick, wie die beiden mit ihren Gästen zu unserer Rock-’n’-Roll-Musik tanzten.
Um uns nicht von der Menge abzuheben, hatten Wren und ich uns im Kostümverleih zwei Petticoat-Kleider ausgesucht, in denen wir aussahen, als wären wir geradewegs der Kulisse von Happy Days entsprungen. Diese Aufmachung half uns, in das Motto des Abends hinein zufinden. Die Frontsängerin einer Band zu sein, hat sehr viel mit Schauspielerei zu tun. Man schlüpft in eine Rolle, die man sich unter anderen Umständen womöglich niemals zutrauen würde. Auf der Bühne konnte ich selbstbewusst, kokett und souverän sein – weit mehr als im wirklichen Leben. Es machte mich glücklich, wenn ich das Publikum auf die Tanzfläche lockte, die obligatorischen Zwischenrufe schlagfertig parierte und die Stimmung anheizte. Sobald die Leute auf der Tanzfläche waren, mussten die Band und ich dafür sorgen, dass sie dort bleiben wollten. Diese Aufgabe fiel mir mit Wrens Un terstützung wesentlich leichter, und mit ihr zu singen, war eine echte Freude. Brauchte eine von uns eine Pause, konnte die andere die Melodie übernehmen, vergaß eine den Text, sprang die andere ein. Wir nannten das »gegenseitiges Auffangen«, und es war ein großartiges Gefühl, meine Freundin auf der Bühne an meiner Seite zu wissen.
In der Pause zwischen den beiden Sets spazierten Wren und ich durch das Schlossgelände, um uns abzukühlen. Die Luft war so frisch, dass sie mir beinahe in den Lungen schmerzte, als ich auf die herrliche Landschaft hinausblickte. Die Sonne ging rot glühend hinter dem See unter, und am Himmel funkelten bereits die ersten Sterne.
»Was für ein wunderbarer Ort. Wie gemacht für eine Hochzeit.«
Wren knuffte mich. »Denkst du etwa gerade an deinen geheimnisvollen Fremden?«
So war es tatsächlich. In einer derart romantischen Umgebung war es unmöglich, nicht auf diese Art an den Mann meiner Träume zu denken. Als ich in Charlie verliebt gewesen war, hatte ich nie auch nur entfernt daran gedacht, ihn eines Tages zu heiraten. Doch seit der Begegnung mit PK war dieser Gedanke bei unseren Hochzeitsauftritten ein ständiger Begleiter. Total bescheuert, aber so war es nun mal. Allein der Blick, mit dem er mich angesehen hatte, ließ den Gedanken, den Rest meines Lebens mit ihm zu verbringen, irgendwie plausibel erscheinen.
»A-haaa!«, dröhnte hinter uns eine heisere männliche Stimme. Wir drehten uns um und sahen den widerlichen Stiefvater der Braut, der über den Rasen auf uns zuwankte. »Hier also verstecken sich die hübschen Frauen! Ganz schön frech!«
Wren stöhnte auf, bedachte ihn aber mit ihrem strahlendsten Lächeln. »Wir sind gerade
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