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und das geheimnisvolle Erbe

und das geheimnisvolle Erbe

Titel: und das geheimnisvolle Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Atherton
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Flusses, der sich im Sonnenschein dahinschlängelte. Auf den Hügeln in der Ferne sah man Schafe weiden, im tiefblauen, wolkenlosen Himmel über uns zogen zwei Habichte ihre weiten Kreise. Es war die Lichtung auf dem Foto, die hier lebendig vor uns lag.
    »Mein Gott«, flüsterte Bill ehrfürchtig.
    Es war ein Bild, das aussah, als hätte sich seit hundert Jahren nichts verändert. Mit einem Mal spürte ich eine große Ruhe in mir. Es war eine Ru-he, wie ich sie noch nie empfunden hatte, ein Friede, der so zeitlos schien wie die Hügel, die sich bis an den Horizont erstreckten. Und was immer Furchtbares Tante Dimity zugestoßen sein mochte, ich wusste genau, dass es nicht hier passiert sein konnte.
    Ich zog das Foto aus der Tasche und hielt es hoch, und indem ich langsam die Lichtung ab-schritt, verglich ich es mit der Umgebung. »Hier ist die Aufnahme gemacht worden«, sagte ich schließ-
    lich und blieb stehen.
    Bill kam zu mir herüber, warf einen Blick auf das Foto und zeigte in die Ferne. »Stimmt. Dort ist der Kamm, wo Emmas Sohn den Abhang hinabstürzte.
    Und dort ist auch der Baum.«
    Die alte, knorrige Eiche stand ganz für sich am Rande der Lichtung. Angezogen von ihrem kühlen Schatten gingen wir zu ihr hinüber. Vorsichtig, um die Stille nicht zu stören, setzte ich die Tasche auf den Boden, und Bill legte seine Jacke darüber. Dann ließ er seinen Blick erneut über die Landschaft schweifen. Erschrocken drehte er sich um, als ich plötzlich einen leisen Schrei ausstieß.
    In die Rinde des alten Baums war ein Herz geschnitten. Es war dunkel vom Alter, und die Ränder waren von Rinde überwuchert, aber die Buchstaben darin waren noch gut zu erkennen.
    »RM & D.« Ich sah Bill an. »RM und Dimity.
    RM. Wer ist RM?«
    »Jemand, der mit ihr hier oben war«, sagte Bill,
    »und der ein Erinnerungsfoto gemacht hat? Vielleicht sogar jemand, der auch mit ihr im Zoo war?«
    Er fuhr mit dem Finger die Kontur des Herzens nach. »Auf jeden Fall jemand, den sie liebte.«
    Ich ließ mich unter dem Baum aufs Gras fallen, und Bill setzte sich neben mich. Er nahm die Was-serflasche aus der Tasche und reichte sie mir. Dann nahm er einen großen Schluck daraus, goss sich etwas Wasser in die Hand und kühlte damit sein Gesicht, ehe er den Verschluss wieder zudrehte und die Flasche in der Tasche verstaute. Den Rücken an die raue Rinde des Baums gelehnt, saß er mit geschlossenen Augen da, während ich die Habichte beobachtete, die unermüdlich ihre Kreise zogen.
    Wessen Hand hatte dieses Herz geschnitzt? Was war mit diesem Jemand geschehen? Ich schloss die Augen und fühlte … etwas. Es war wie ein Traum.
    Fernes Gelächter, wie eine Erinnerung an Stimmen, an ein Raunen zärtlicher Worte, die aus längst vergangener Zeit zu mir herüberklangen; es war eine Stille inmitten einer tobenden Welt.
    »Lori?«
    Bills Stimme schien von weit her zu kommen.
    Diese anderen Stimmen waren viel näher, leise Stimmen, die murmelten, flüsterten und widerhall-ten und schließlich von einem tosenden Sturm fort-gerissen wurden. Ich musste mich anstrengen, um sie zu hören, aber nachdem sich der Sturm verzogen hatte, gab es nur noch Schweigen. Eine große Trau-rigkeit kam über mich. Ich spürte eine so große Sehnsucht, ein solches Gefühl des Verlustes, so als hätte mich ein heftiger Schlag getroffen. Wer war mit Dimity an diesen Ort der Stille und des Friedens gekommen? Wen hatte sie verloren in dem Chaos, das dort draußen wütete?
    Bill legte mir eine Hand auf die Schulter.
    »Ein Soldat.« Ich war mir nicht bewusst, dass ich es laut gesagt hatte. »RM war ein Soldat, ein Junge, den Dimity liebte; er hatte sich trotz seiner Jugend gemeldet und ist gefallen.«
    »Ist er das?«, fragte Bill.
    »Ich … ich weiß es nicht.« Ich öffnete die Augen und schirmte sie mit der Hand gegen die Sonne ab.
    Wegen der plötzlichen Helligkeit musste ich blin-zeln. »Ich weiß es nicht, aber mir war, als hörte ich
    … hast du nichts gehört?«
    »Das Einzige, was ich höre, ist der Wind in den Bäumen.«
    »Der Wind …« Der Wind des Todes hatte die Stimmen auf der Lichtung verstummen lassen, wie er eines Tages alle Stimmen zum Schweigen bringen würde. Ich rieb mir die Augen und versuchte, meine Gedanken von den Spinnweben zu befreien.
    »RM – ein Soldat?« Bill überlegte. »Das klingt plausibel. Damals wurde viel gestorben, unzählige Herzen wurden gebrochen. Das würde erklären, warum Dimity so aufgewühlt war, als deine Mutter ihr begegnete.

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