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und das geheimnisvolle Erbe

und das geheimnisvolle Erbe

Titel: und das geheimnisvolle Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Atherton
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… Seine Leiche wurde nie gefunden«, schloss er abrupt.
    »Mein Gott«, flüsterte ich.
    Andrew strich sich mit der Hand über das schüttere graue Haar. »Das war im Krieg weiter nichts Außergewöhnliches«, sagte er mit gesenktem Kopf, wobei er nachdenklich in sein Glas sah, »aber ich muss gestehen, dass es ein unbeschreiblicher Verlust für mich war. Es mag albern klingen, aber manchmal gehe ich in die Kapelle, um ihm näher zu sein.«
    »In die Kapelle?«, fragte Bill. »Aber ich dachte …«
    Andrew sah auf. »Eine Familientradition«, er-klärte er. »Eine Familie wie die unsere hat auf vielen Schlachtfeldern gefallene Söhne gelassen. Als Bobby fiel, ließ ich auf der Gedenktafel seinen Namen hinzufügen. Dort unten, so bilde ich mir jedenfalls ein, kann ich seine Gegenwart spüren. Die MacLarens haben eine Ader dafür.« Einen Moment schwieg Andrew. Dann fragte er: »Möchten Sie die Kapelle sehen?«
    »Ja, gern«, erwiderte Bill. »Es wäre uns eine Ehre.«
    Mit einer Laterne in der Hand ging Andrew voraus zur Grabkapelle, ein schmales gotisches Ge-bäude am Westflügel des Hauses. Hier in diesem düsteren, feuchten Gemäuer ruhten Generationen von MacLarens. Die nassen Granitwände schienen uns einzuschließen, und die Luft war so kalt, dass ich mir wünschte, ich hätte etwas Wärmeres angezogen als mein kurzärmeliges Seidenkleid. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie jemand hier in Frieden ruhen konnte. Fast glaubte ich zu hören, wie die Gebeine der Toten vor Kälte klapperten.

    Unsere Schritte hallten auf dem unebenen Stein-fußboden wider, als wir an verblichenen Lords und Ladys vorbei auf die gegenüberliegende Seite der Kapelle gingen, wo eine große Bronzetafel mit in die Wand eingelassen war. Ganz unten in einer schlecht beleuchteten Ecke sahen wir unter zahlrei-chen anderen Eingravierungen auch Bobbys Namen und Geburtsdatum, darunter die Worte: GEFALLEN BEI DER VERTEIDIGUNG DES KÖNIGREICHS, 9. SEPTEMBER 1940.
    »Mein Bruder war gerade zwanzig geworden«, sagte Andrew. Seine Stimme klang hohl von den Wänden wider. Impulsiv beugte ich mich hinab, um die Inschrift mit den Fingern zu berühren. Dabei rutschte mir das Medaillon aus dem Ausschnitt und blitzte an der Kette im Licht der Laterne auf. Ich hörte, wie Andrew scharf die Luft einzog, und bemerkte, dass er mich ansah.
    »Es tut mir Leid«, sagte ich, indem ich mich auf-richtete, »ich wollte nicht …«
    Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und schien sich in sich zurückzuziehen. »Wenn Sie mich entschuldigen … es war ein anstrengender Tag für mich.« Langsam und mühevoll, als ob seine Ge-wandtheit ihn verlassen hätte, humpelte er zum Eingang zurück. Dort warteten sein Diener und die Haushälterin schon auf ihn, fast als ob Andrews Besuch in der Kapelle ein abendliches Ritual wäre.

    Andrew lehnte sich schwer auf den starken Arm des Dieners, einen untersetzten jungen Mann mit breiten Schultern.
    »Ich zeige Ihnen jetzt Ihre Zimmer«, sagte die Haushälterin. Sie war eine ältere Frau mit scharfen Augen, die ein gestärktes schwarzes Kleid trug. Es klang weniger wie ein Vorschlag als wie eine Fest-stellung.
    »Ja«, sagte Andrew. »Gehen Sie mit Mrs Hume.
    Wir sehen uns dann morgen früh wieder.« Er machte ein paar Schritte, dann zögerte er und wandte sich an Bill. »In dieser Gegend kann man wunderbar angeln, wenn Sie früh genug aufwa-chen.«
    »Ich möchte Ihnen aber keine Umstände …«
    »Es macht mir keine Umstände«, sagte Andrew.
    »Colin und ich sind meist schon beim ersten Morgengrauen auf. Wir werden mal sehen, junger Mann, ob wir eine Angel und ein Paar Watstiefel für Sie haben.«
    Nachdem Bill mit der Antwort zögerte, stieß ich ihn leicht in die Rippen.
    »Äh, ja, gern«, sagte er. »Ja, vielen Dank, das ist sehr nett von Ihnen.«
    »Gut«, sagte Andrew mit einem schwachen Lächeln. »Colin wird Sie rechtzeitig wecken. Vielleicht gibt’s dann frischen Lachs zum Frühstück.« Mit einer Hand auf Colins Schulter, die andere auf den Stock gestützt, machte sich Andrew auf den Weg in seine Gemächer.
    Die Haushälterin führte uns über die breite, dunkel getäfelte Treppe in den zweiten Stock, wo wir nebeneinander liegende Schlafzimmer mit Blick über das Loch hatten. Sie zeigte uns die am nächsten gelegene Toilette und das Bad, worauf sie mit unfreundlicher Stimme hinzufügte: »Mr MacLaren schläft manchmal sehr schlecht. Deshalb wäre es sehr freundlich, wenn Sie seine Nachtruhe während Ihres

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