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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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mich einfach nur Darling«, kicherte sie, »ohne die Miss.«
    Darling beschrieb ihrer Freundin am Abend den alten Herrn mit dem weißen Haar, den strahlenden blauen Augen und den altmodisch guten Manieren als »einen ganz, ganz süßen Knaller«. Selbst sein kontinentaler Zungenschlag gefiel ihr. Des Reisezieles wegen hielt Darling ihn für einen Franzosen. Samy legte eine burgunderrote Brieftasche auf den Glastresen, die wundersam nach Leder roch und die er in Abständen zärtlich streichelte, denn sie stammte noch aus seiner Offenbacher Fabrik für Lederwaren, und er hatte sie vierzig Jahre lang für eine besondere Gelegenheit aufgehoben. »Früher«, sagte er verlegen, als er Darlings Blick bemerkte, »haben die Männer immer solche Taschen benutzt.« Er merkte, dass er das englische Wort für Brieftasche nicht kannte, und er deutete den Vorfall absolut richtig.
    Als sie von der Dringlichkeit der Reise erfuhr, wurde Darling, was sie seit zehn Tagen wegen heftigen Liebesschmer-zes nicht mehr gewesen war, tatenfroh und phantasievoll. Eine Viertelstunde telefonierte sie ohne Unterlass, ließ drei Zigaretten in einem Aschenbecher verglühen, der ausschließlich für ihre Klienten bestimmt war, und gebrauchte vornehmlich Vokabeln, die in Samy den Verdacht erweckten, die niedliche Erscheinung auf der anderen Seite des Tresens wäre gerade dabei, eine Geheimsprache zu erfinden. Die Salven aus dem Fliegervokabular machten ihn so schläfrig, dass er, als es schließlich zu einer Entscheidung kam, die frohe Botschaft aus Darlings kirschrot geschminktem Mund überhörte. »Geschafft«, wiederholte sie, als ihr Großvater auf Zeit verschreckt die Augen aufriss und sich der fortgeschrittenen Alterssenilität bezichtigte, weil er in einer Situation weggedämmert war, die seinen vollen Einsatz erforderte. »Wir haben einen Platz in der Zwei-Uhr-Maschine«, verkündete der Engel in Uniform.
    Zehn Minuten später saß Samy, der noch nie geflogen und seit seiner Ankunft in England überhaupt nie länger als zwei Tage von London weg gewesen war, in einem Taxi. Er kroch in die Lederpolster, deren Duft ihn prompt und erbarmungslos nach Offenbach entführte, und er seufzte so hörbar, wie er es sich in Marthas besorgter Gegenwart nie gestattet hätte. Der Wagen hatte sich nur so schnell beschaffen lassen, weil Darlings Beine so lang waren wie ihr Röckchen kurz und der Taxifahrer sich erfolgreich suggeriert hatte, die knusprige junge Miss hätte ihm vor der alten Frau mit dem Krückstock das Zeichen zum Anhalten gegeben. Ihren Service krönte die selbstlose Fee, indem sie - diesmal nicht mit Hilfe ihrer schönen Beine, sondern mit exzellenten Branchenkenntnissen - den Fahrpreis zum Flughafen aushandelte. Wiederum bediente sie sich eines Wortschatzes, der Samy noch nie begegnet war. Beim Einsteigen spürte der Reisende einen zarten Klaps auf seiner rechten Schulter und die Hitze seiner Jugend. In einem zeitgleichen Anfall von Sentimentalität und Sehnsucht wünschte sich Sylvia Darlington, die als einzige Verwandte nur eine ältliche Cousine zweiten Grades hatte, die auf der Insel Jersey lebte und ihre Weihnachtskarten ohne einen persönlich Gruß verschickte, der reizende alte Großvater würde sie noch einmal Darling nennen. Das geschah nicht. Er war, wie die meisten Männer, in direkter Linie mit Odysseus verwandt und schaute, wenn er den Anker lichtete, grundsätzlich nur nach vorn.
    Die Stewardess war längst nicht so gutherzig und menschenfreundlich wie Darling mit dem Kussmund, doch Samy war viel zu aufgeregt und abgelenkt, um die sauertöpfische Miene der dürren Flugbegleiterin als eine negative Erfahrung zu verbuchen. Kopfschüttelnd befestigte die Bohnenstange den Sicherheitsgurt, den er noch nicht einmal entdeckt hatte, um seinen Leib und schnarrte: »Zeitungen haben wir heute keine, Sir. Brauchen Sie zum Start ein Bonbon?« Samy versuchte, sich eine Situation vorzustellen, in dem ein erwachsener Mann mit frisch plombierten Zähnen einen Bonbon brauchte, und wurde zu spät gewahr, dass er kicherte. Die Frau vom Nachbarsitz, eine mütterliche Dralle mit einem grünen Turban und Ohrringen wie Carmen, legte beruhigend ihre fleischige Hand auf seinen Arm. Sie trug einen Ring mit einem riesigen Mondstein, und er dachte wehmütig an den in dem schwarzen Samtbeutel.
    Sein Magen rumorte, seine Schläfen pochten, und sein Herz war schon zu Rose vorausgeeilt. Beim Start, als er glaubte, seine Ohren würden platzen, versuchte er, alles

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