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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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eine handwerklich beeindruckende Arbeit. Sein Vater hatte ihn unmittelbar vor dem Abflug aus Nairobi gekauft. Als wäre seitdem kein Tag verstrichen, hörte ihn David sagen: »Für deine Erinnerungen, mein Sohn. Mach es besser als deine Eltern und sperr bei Zeiten ein, was in dein Herz gehört.« Der Satz, stellte David mit der Befriedigung derer fest, die sich nicht durch schöne Worte täuschen lassen, war immer noch ein Rätsel. Schon in Nairobi hatte er sich gefragt, ob sein Vater tatsächlich der Meinung wäre, Erinnerungen ließen sich wie zahme Hamster in Käfige sperren, oder ob er nur seine Frau hatte necken wollen, die sich auf der ganzen Reise so fühlbar schwer mit der Rückschau auf Vergangenes getan hatte.
    Das schwarze Kästchen hatte nicht nur vier Jahre lang die klimatischen Zumutungen in einem spartanisch geheizten englischen Heim überstanden; es war auch der für Andenken tödlichen Ordnungsliebe von eifernden Hausfrauenhänden entkommen. Liesel begann nämlich erst als angehende Großmutter zu begreifen, dass der Zugriff auf das Eigentum der leiblichen Kinder zu den Kränkungen gehört, die Müttern bis zum Jüngsten Tag nicht verziehen werden. In der afrikanischen Schatztruhe fanden sich außer den üblichen Postkarten, Adressen und Eintrittsbillets, die Touristen in fernen Ländern mit Hingabe sammeln und die sie nach der Heimkehr nie wieder anschauen, ein entzückendes Foto von Rose mit leuchtenden Augen und einer Banane mit roter Schale in der Hand. Sie hatte eine tief ausgeschnittene zitronengelbe Bluse an und um den
    Hals eine Kette aus vielen Strängen von kleinen farbigen Perlen. Der Schmuck, den David nie wieder bei seiner Schwester gesehen hatte, war nach zähen Verhandlungen auf dem Weg zwischen Nakuru und Londiani einem einbeinigen Mann abgekauft worden, der ihn »Sir« und seinen Vater »Papa« genannt hatte. Das Foto hatte nichts von seinem Charme eingebüßt. Rose saß auf einer Kiste am Frühstückstisch und wurde von einem großen schwarzweißen Hund abgeschleckt. Der stand auf seinen Hinterläufen und hatte seine massige rechte Vorderpfote auf Rose’ Schoß gelegt.
    In dem Moment, da er das Bild betrachtete, erinnerte sich David so gut an das freundliche, sabbernde Tier, dass er meinte, dessen feuchtes Fell riechen zu können. Abermals war er tief bewegt. Je älter er wurde, desto mehr erschien ihm die afrikanische Safari ein Traum, als Erfüllung und Harmonie und als das Geschenk, mit dem nur diejenigen beglückt werden, deren Augen Gott mit besonderem Wohlwollen bedacht hat. Auf der Reise in die Heimat seiner Mutter war es David gewesen, der auf Fragen Antworten gefunden hatte, die er noch immer keinem Menschen zu stellen wagte.
    Unter dem Foto von Rose lag, auf hellblauem Papier geschrieben, das aus ihrem Tagebuch herausgerissen und bestimmt dem Bruder nicht freiwillig überlassen worden war, ein kurzer Text des mittelalterlichen Philosophen Moses Maimonides. David, zu Beginn der Reise noch in Sorge, das Erlebnis Afrika würde ihn zu weit abführen vom Pfad seiner religiösen Pflichten und geistigen Übungen, hatte einige Abschnitte der Abhandlung, um deren Interpretation er sich schon seit längerer Zeit bemühte, aus dem Gedächtnis rekapitulieren wollen. Augenscheinlich war dem eifrigen jungen Gelehrten entweder der Papiervorrat ausgegangen, oder die Taschenlampe war auf einen Schlag erloschen; der Text endete abrupt und mit drei Ausrufezeichen. Noch verblüffender, weil völlig seinem Gedächtnis entflohen, war für David der dritte Fund. Es waren Tagebuchnotizen auf zehn eng beschriebenen Seiten - kein schriftstellerisches Meisterwerk, doch gaben sie die Stimmung jener afrikanischen Tage sehr anschaulich wieder. Viele Ausdrücke waren unbeholfen, andere schwülstig und unverkennbar an den Gedichten der englischen Romantiker geschult, doch das spürbare Bemühen um Akkuratesse gefiel David, und mit größtem Genuss las er das kurze Kapitel »Haus Zufall«. Beim Lesen des letzten Satzes hörte er sein Herz heftig schlagen. »Ich habe«, hatte er geschrieben, »noch nie so sehr das Bedürfnis gehabt wie heute, dem Allmächtigen für die Welt zu danken, die er uns überlassen hat.«
    Beim Lesen seiner afrikanischen Erkenntnisse saß David auf einem ausgeblichenen Zweisitzersofa, das jahrelang in Rose’ Zimmer gestanden hatte. Das spärliche Licht in der Garage beleuchtete hauptsächlich die Stockflecken an der Wand. Ein Haufen alter Zeitungen lag in der Ecke des Raums.

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