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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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erschienen und ausschließlich bei ihm zu kaufen, ortete derweil ihre Stirn runzelnde Mutter die Straße, die nach Kericho führte. Zum ersten Mal an diesem Tag waren Liesel die verschlungenen Wege des Gedächtnisses hoch willkommen.
    »Die Strecke von Kericho nach Londiani, pflegte mein Vater zu sagen, wenn er mich doch mal von der Schule abholte, ist schlimmer als Wasser im Hefeteig. Also, was schließen wir daraus?«
    »Dass dein Vater mehr von Hefeteig verstanden hat als ich.«
    »Du bist nobelpreisverdächtig. Nein, dass der Weg nach Londiani über Kericho führen muss.«
    »Sorry, ich kann nicht mehr logisch denken. Und sitzen schon gar nicht. Ich möchte nur eins wissen: Wie hat man das mit den Autos von früher geschafft, solche Straßen ohne Rückenschmerzen zu überstehen?«
    »Man hat nicht. Ich hab schon als Kind Rückenschmerzen bekommen und mir von meinen Onkeln anhören müssen, ich wäre ein verzogener Weichling und würde nie einen Mann finden. Schau mal, wenn du dich jetzt umdrehst, siehst du den See noch einmal in voller Pracht.«
    »Haben das deine famosen Onkel auch gemacht? Sich bei voller Fahrt umgedreht.«
    »Ist dreißig Meilen in der Stunde volle Fahrt?«
    »In diesem Land schon, mein Sohn.«
    Die Straße war eng und kurvenreich und nicht geteert. Den einheimischen Fahrern machte das nichts aus. Eine Armada von Lorrys war unterwegs, rostige, nach hinten offene Lastwagen, hoch beladen mit Menschen, Ziegen, Holz, alten Reifen, Matratzen, Kisten und voll gestopften Plastiksäcken. Die Leute auf den Lastern, überdeckt von roten Sandwolken, sahen wie Mumien aus, doch ihre Apathie verschwand, sobald der Ford sie überholte. Die Männer klatschten in die Hände, johlten und winkten, wenn Emil hupte. Rose bedachten sie mit Komplimenten, für die keine Sprachkenntnisse erforderlich sind und die von Frauen in aller Welt spontan verstanden werden.
    »Mir gefällt es hier«, sagte Rose.
    Überraschenderweise stimmte ihr David zu. »Mir auch. Hier hat man das Gefühl, die Welt ist soeben erst erschaffen worden.«
    »Von wem?«, neckte ihn seine Schwester.
    »Wenn du das nicht weißt, wirst du’s nie erfahren.«
    Zu Hause hatte sich Liesel an dem Gedanken delektiert, ihre Sprachkenntnisse würden in Kenia ihre Kinder beeindrucken, doch sie verstand kaum einen der Zurufe, die von den Lastwagen kamen. Missmutig grübelte sie, ob sie Suaheli vergessen hatte oder ob die Männer am Ende gar nicht Suaheli, sondern in ihrer Stammessprache Rose den
    Kopf verdrehten. Nach einigen Minuten setzte ihr Gedächtnis doch noch ein; sie erinnerte sich, dass sie nie gut Suaheli gesprochen hatte. Sie hatte ihre britischen Mitschülerinnen kopiert, die in den Ferien nie mehr als nötig mit den Menschen auf den Farmen redeten und so gut wie gar kein Suaheli konnten.
    »Kannst du dir vorstellen«, fragte sie ihren Mann, »dass ich ein dummer kleiner Snob gewesen bin als Kind?«
    »Dumm bestimmt nicht«, erwiderte er. »Dummheit wächst sich nicht aus.«
    Oft musste Emil den Wagen für Viehherden anhalten. Die Kühe und Ochsen waren so dürr, dass die Rippen unter der Haut hervorstießen. Die Ziegen fraßen das verdorrte Gras am Straßenrand. Begleitet wurden die Herden von Greisen, die zerlöcherte Wolldecken über ihre nackten Schultern geschlungen hatten und das Auto misstrauisch anstarrten, von jungen kräftigen Männern mit Messern im Gürtel und barfüßigen Buben, die den Ford anzufassen versuchten. Sie brüllten »Jambo« und gerieten selbst auf größeren Steigungen nicht außer Atem.
    »Komisch, die einheimischen Fahrer müssen nie für die Viecher halten und ich immerzu«, sagte Emil.
    »Das hat schon mein Vater festgestellt«, erinnerte sich Lie-sel, »ich höre ihn noch fluchen: >In diesem Land sind selbst die Ochsen antisemitisch.« Das hat er übrigens nur gesagt, wenn er mit mir allein war. Und ich habe Jahre gebraucht, ehe ich gemerkt habe, dass das ein Witz sein sollte.«
    »Ich glaube, dein Vater und ich hätten uns gut verstanden. Schade, dass ich ihn nicht kennen gelernt habe.«
    »Ich hab’ ihn ja selbst kaum gekannt. Er ist so früh gestorben. Ich glaube, er war sehr ernst.«
    »Na, das hier klang mir verdammt nach Humor. Jedenfalls werden wir deiner Mutter erzählen, wie viel wir von ihm gesprochen haben auf unserer Reise.«
    »Sie wird sich freuen. Glaube ich jedenfalls. Ach«, begriff Liesel, »manchmal denke ich, dass ich auch meine Mutter nicht sehr gut kenne.«
    »Frag deinen Sohn, wenn du was

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